Künstlerische Interventionen in schulischen Kontexten – über den Wert von Künstlerinnen und…
Fachartikel
Dieser Fachartikel beschreibt die Besonderheiten und Herausforderungen künstlerischer Arbeit im System Schule und beschreibt mögliche Einsatzbereiche für freiberufliche Künstlerinnen und Künstler in der Schule sowie Potentiale für Unterricht und kulturelle Schulentwicklung.Vor allem mit dem Ausbau der Ganztagsbetreuungen an Schulen bieten zunehmend Künstlerinnen und Künstler verschiedener Sparten im nicht benoteten Nachmittagsbereich oder auch in Kooperation mit Lehrkräften künstlerisch-kulturelle Angebote an. Bundesweite Programme wie " Jedem Kind ein Instrument " oder " Kulturagenten für kreative Schulen " der Kulturstiftung des Bundes und der Mercator Stiftung tragen zur Unterstützung und Sichtbarkeit künstlerischer Arbeit in Schule bei. Inzwischen ist die Schule eines der wichtigsten Betätigungsfelder für Künstlerinnen und Künstler in der Kulturellen Bildung (vgl. Priller 2020: 42ff.). Antagonismen Kultur – Schule Dabei gestaltet sich die Arbeit von Kunstschaffenden im System Schule keineswegs nur harmonisch. Aus Sicht der Künste ist Schule eine ambivalente Institution: Zwar ist sie die zentrale Lebenswelt für Kinder und Jugendliche, in der sie Eigenständigkeit unabhängig vom Elternhaus erfahren können, durch die verbindlich geltende Schulpflicht ist sie gleichzeitig eine Art Zwangseinrichtung. Sie ist Ort der gesellschaftlichen Sozialisation und Integration im Aufwachsen und ermöglicht auch Kindern aus Elternhäusern, die wenig Kontakte zu den Künsten und Kultureller Bildung haben, Zugänge zu diesen, gleichzeitig ist sie auch 'Normierungsinstitution' (vgl. RFBK 2017: 5, Hohmeier/Speck 2018). Die Felder der Schule und der Künste werden oft als antagonistisch beschrieben: Auf der Seite der Schule strukturiertes Vorgehen, zu erfüllende, klar abgesteckte Lernziele, Überprüfbarkeit, standardisierte Bewertungen, einzuhaltende Regeln, ein fortlaufend möglichst reibungsloser Betrieb, Aufgaben, die in 45 Minuten passen. Auf der Seite der Künste der Anspruch, Ergebnisse dem Prozess unterzuordnen, Freiheit in der Gestaltung zu geben, Zeit und Raum zur Selbstverwirklichung, -erkenntnis und -bildung zu ermöglichen, Grenzübertretungen nicht nur zuzulassen sondern zu forcieren, die Ideen der beteiligten Kinder und Jugendlichen zu achten, Beteiligung aller zu ermöglichen, Praktiken bewusst neu und anders zu gestalten, Abweichungen von der Norm zu begrüßen, Regeln in Frage zu stellen, offene Fragen zu stellen, keine eindeutigen Antworten zuzulassen und auch das System Schule kritisch zu spiegeln. Wie können angesichts dieser auf den ersten Blick unversöhnlichen Herangehensweisen künstlerische Projekte und Interventionen produktiv werden für Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte ebenso wie für die Künstlerinnen und Künstler? Zertifikatskurs für Künstlerinnen und Künstler in der Kulturellen Bildung In einem Zertifikatskurs speziell für Kunstschaffende in der Kulturellen Bildung werden seit Herbst 2021 in einem bundesweiten Modellprojekt der Universität Hildesheim, gefördert von der Mercator Stiftung, 35 Künstlerinnen und Künstler verschiedener Sparten qualifiziert für Tätigkeiten in Bildungskontexten, vor allem in der Schule. Freischaffende Künstlerinnen und Künstler entwickeln auf Basis ihrer jeweiligen künstlerischen Position und Strategien Settings für die Arbeit in Bildungseinrichtungen. Der Begriff der "künstlerischen Intervention" deutet darauf hin, dass sie dabei ihre künstlerische Autonomie wahren und sich nicht dem System Schule unterwerfen, doch zugleich die besonderen Bedingungen und Kontexte in Schule analysieren und berücksichtigen. Einsatzbereiche für freiberufliche Künstlerinnen und Künstler in der Schule Kunstschaffende sind vor allem im Bereich Lehr-/Lernkultur in außerunterrichtlichen kulturellen Projekten oder regelmäßigen AGs für Lernende tätig, die ohne schulische Benotung stattfinden. Zudem bieten sie punktuelle ästhetisch-kulturelle beziehungsweise künstlerische Methoden im Fachunterricht zur Unterstützung der Unterrichtspraxis der Lehrkräfte an. Darüber hinaus agieren sie zunehmend auch in Bereichen der Personalentwicklung und mehr noch der Organisationsentwicklung, wenn sie künstlerische Fortbildungen für Lehrkräfte zur Förderung der individuellen Wahrnehmungs- und Gestaltungsfähigkeiten sowie zur Anregung und Unterstützung bei der Entwicklung kreativer Lehr-/Lernsettings anbieten. Vor allem in Schulen mit einem künstlerischen Profil können sie die Entwicklung einer neuen Schulkultur begleiten durch ästhetisch-künstlerische Forschung, die neue Perspektiven auf Schule zeigt und neue ästhetische Räume und Formate für Schule entwickelt (vgl. Braun 2021; BKJ 2019: 33ff.). Der besondere Wert künstlerischer Arbeit für Schule "Eine Schulglocke klingt anders, wenn sie einmal zum Gegenstand einer künstlerischen Untersuchung gemacht wurde, das Selbstverständnis der Nutzung von Tischen verändert sich, saß man einmal darauf oder darunter, Räume werden gestaltbar, hat man sich alle Winkel einmal genauer angesehen und auch die Wahrnehmung von Lehrer/innen- und Schüler/innenrollen kann sich verändern, wenn klassische soziale Konstellationen künstlerisch befragt und auf die Probe gestellt wurden" (Hummel 2011: 14). Die Künste haben für Bildungsprozesse besonderes Potential, denn sie ermöglichen außergewöhnliche "ästhetische Differenzerfahrungen" jenseits der Alltagswahrnehmung. Künstlerische Prinzipien wie forschendes, entdeckungsgeleitetes Lernen können bei Schülerinnen und Schülern Neugierde, eigenständiges und unkonventionelles Denken und Handeln anregen und Erfahrungen von Selbstwirksamkeit verstärken. Zudem können künstlerische Projekte, die neben kognitiven auch ästhetische, soziale und emotionale Fähigkeiten erfordern, Stärken derjenigen Schülerinnen und Schüler zeigen, die sich in klassischen schulischen Kontexten eher schwer tun (s. Artikel " Heterogenität im Klassenzimmer: kreative Methoden für individuelle Zugänge und Arbeitsweisen in allen Fächern "). Sie können die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an kulturellen Ressourcen verbessern (vgl. Kelb 2007). Auch die sozialräumliche Orientierung und Auseinandersetzung mit der regionalen Umgebung kann durch künstlerische Projekte unterstützt werden, so etwa in dem Projekt "Industriegebietskinder", in dem Schülerinnen und Schüler einer Theater-AG ihren von Industrie geprägten Stadtteil und dessen Geschichte untersuchten. Im Anschluss an den Rechercheprozess wurde daraus ein Theaterstück entwickelt und aufgeführt: "Das Projekt zeichnete sich durch verschiedene Untersuchungsmethoden aus: Sozialraumforschung im Stadtteil und an den alten Industrieorten, Biografiearbeit mit den Jugendlichen und mit ehemaligen Arbeitern. Nach der Begehung der Industrieorte wie Hochofen, Industriehalle und Kühlbecken wurden szenische Improvisationen erarbeitet, die die Jugendlichen aufforderten, sich in die Gebäude zu versetzen. Dabei entstanden Texte und Szenen, die davon erzählen, wie das Gelände von den Jugendlichen wahrgenommen und die alten Industriestandorte in ihrer Freizeit angeeignet wurden" (Hinz 2014: 10). Schule muss sich verändern, um in einer immer komplexeren und zugleich zunehmend unberechenbaren und schnelllebigen Welt Menschen darauf vorzubereiten, flexibel, handlungsfähig, sozial kompetent und resilient agieren zu können. Künstlerinnen und Künstler können dazu beitragen, dass diese Fähigkeiten gestärkt werden, sie können für Transformationen an Schule ermutigen und die dafür benötigten Freiräume schaffen.
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