Beschreibung der Unterrichtseinheit
Diese Unterrichtsanregung verfolgt das Ziel, Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I für den nicht einfachen Sachverhalt der Kinderarbeit historisch zu sensibilisieren.
Die deutsche Sozialstaatlichkeit
Am Thema der Kinderarbeit lassen sich die positiven Errungenschaften deutscher Sozialstaatlichkeit gut demonstrieren: Durch eine Reihe von Gesetzen und Verboten trug der Sozialstaat im Verlauf des 20. Jahrhunderts dafür Sorge, Kinder und Jugendliche vor Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen zu schützen. Davon konnte im Zentraleuropa des 18. und 19. Jahrhunderts - und kann in zahlreichen Ländern der Dritten Welt bis zum heutigen Tag - nicht die Rede sein. Die Ausbeutung von Minderjährigen als Arbeitskräfte hat an ihrer tagespolitischen Aktualität nichts verloren.
"Doppelcharakter" der Kinderarbeit
Aus historischer Perspektive gilt es, Schülerinnen und Schülern jedoch auch zu vermitteln, Kinderarbeit - speziell vor der einsetzenden Industrialisierung - nicht per se als etwas Schlechtes zu betrachten. Dass Kinder in die Lebens- und Arbeitswelt der Erwachsenen fest eingebunden waren, galt vor allem in agrarisch geprägten Gesellschaften bis weit in das 20. Jahrhundert als gelebte Normalität. Dieser "Doppelcharakter", dem auch das Thema der Kinderarbeit innewohnt, sollte im problemorientierten Geschichtsunterricht dem Klassenverband - schon in der Sekundarstufe I - aufgezeigt werden.
Didaktisch-methodischer Kommentar
Die Schülerinnen und Schüler sollen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem Kindheitsalltag im 19. Jahrhundert und ihrem eigenen erkennen und reflektieren. Hierzu kann der folgende detaillierte - und didaktisch-methodisch kommentierte - Unterrichtsverlauf dienen.
Einstieg
Die Hinführung zum Unterrichtsthema "Kinderarbeit im 19. Jahrhundert" kann durch einen "stummen Impuls" erfolgen. Mithilfe eines Computers und eines Beamers werden vier, maximal fünf Bilddokumente, die allesamt unterschiedliche Formen und Wahrnehmungen von Kinderarbeit aus dem 19. Jahrhundert abbilden, an die Wand projiziert.
Die oftmals dominante Präsenz der Lehrkraft soll durch diesen Unterrichtseinstieg in den Hintergrund treten. Durch die Beschreibungen der bildlichen Darstellungen rücken die Schülerinnen und Schüler stärker in den Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens. Die Lehrkraft nimmt dabei eher die Rolle eines Moderators beziehungsweise einer Moderatorin ein, der / die durch wenige, doch gezielte Fragestellungen die Beschreibungs- und Analysefähigkeiten des Klassenverbandes schulen soll.
Historisches Bewusstsein für die Thematik der Kinderarbeit soll bei den Schülerinnen und Schülern gefördert werden, indem die Lehrkraft nach der Beschreibung der Bilder auf die gegenwärtige Situation einiger Kinder in der Klasse eingeht.
Erarbeitung
Schon im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe I sollte die Arbeit mit methodisch aufbereitetem und möglichst authentischem Quellenmaterial einen zentralen Platz in der Schulstunde einnehmen. Bei der Auswahl der Quellentexte, die sich um den Gegenstand der Kinderarbeit im 19. Jahrhundert drehen, sollte ein Aspekt unbedingt beachtet werden: Die Texte sollten von der Lehrkraft kontrastiv ausgewählt werden.
Als mögliche Inhalte bieten sich Kindheitserinnerungen sowie Darstellungen über das Leben und Arbeiten von Kindern auf dem Land, in Manufakturen oder in Fabriken an. Dadurch wird der Lerngruppe schon in den ersten Jahren des Geschichtsunterrichts multiperspektivisches Denken angeeignet. Somit werden den Schülerinnen und Schülern historische Sachverhalte der Kinderarbeit aus unterschiedlichen Perspektiven und Positionen vor Augen geführt.
In den Klassen 7 und 8 empfiehlt es sich, die Arbeitsaufträge bei der Quellenauswertung recht kurz und präzise zu gestalten. Eine Möglichkeit wäre - wie im tabellarischen Verlaufsplan angegeben - die Schülerinnen und Schüler Steckbriefe erstellen zu lassen, um die wesentlichen Informationen über die in den Schriftquellen dargestellte Arbeit von Kindern gebündelt zu erhalten. Den Steckbrief könnte man nach folgenden Stichpunkten gliedern: Alter - Geschlecht - Beziehung zur Familie/Familienmitgliedern - Arbeitstätigkeiten.
Auswertung und Diskussion
In der Auswertungs- und Diskussionsphase, in der die Schülerinnen und Schüler den Inhalt der einzelnen Quellen mündlich wiedergeben, sollte der Fokus verstärkt auf die Gegenwart und das Alltagsleben der Schulkinder gerichtet werden. Wenn es dem Klassenverband gelingt, Unterschiede (oder gar Gemeinsamkeiten) zwischen dem Kindheitsalltag im 19. Jahrhundert und dem eigenen zu erkennen und zu reflektieren, wird historisches Denken angeeignet und historisches Bewusstsein konstruiert.
Ergebnissicherung
Durch einen Tafelanschrieb über die verschiedenen Arbeitsbedingungen von Kindern im 19. Jahrhundert (in tabellarischer Form oder in Stichpunkten) werden die Arbeitsergebnisse der Quellenarbeit abgesichert.
Hausaufgabe
Nachdem die Schülerinnen und Schüler erkannt haben, dass es im langen 19. Jahrhundert unterschiedliche Formen der Kinderarbeit gab - und diese in der Gegenwart in vielen Teilen der Welt in den unterschiedlichsten Formen noch immer präsent sind, empfiehlt es sich, für das Thema "Kinderarbeit" das gleichnamige Kapitel XIII. aus dem Schülerheft "Sozialgeschichte Band I" (Seiten 34 bis 37) durchzuarbeiten. Auf den letzten Seiten des Heftes sind separate Arbeitsblätter zu den einzelnen Kapiteln entworfen worden.