In dieser Unterrichtssequenz zu den Frauenfiguren in "Bahnwärter Thiel" problematisieren die Schülerinnen und Schüler die schablonenhafte Darstellung von Minna und Lene, mit deren Hilfe die beiden gegensätzlichen Welten, in denen sich Thiel bewegt, umrissen werden. Auf der Grundlage eines Auszugs aus einem Sekundärtext erarbeiten sie eine psychologische Deutungsebene für diese Figurengestaltung und lernen eine für die Zeit typische Benennung für stereotype Zuschreibungen kennen.
Beschreibung der Unterrichtseinheit
Während die Hauptfigur Thiel in der Erzählung differenziert entwickelt wird, bleiben die beiden Frauenfiguren, in deren Spannungsverhältnis Thiel existiert, ohne Tiefgang und weitestgehend auf äußere Zuschreibungen beschränkt. In dem vorliegenden Stundenentwurf setzen sich die Schülerinnen und Schüler mit der Absicht hinter dieser Figurenkonzeption auseinander.
Verwendete Literatur: Reclam XL-Ausgabe mit Materialanhang
Didaktisch-methodischer Kommentar
Gegenüberstellung der Frauenfiguren
In der Auseinandersetzung mit eigenen Zeichnungen weisen die Schülerinnen und Schüler anhand des Textes nach, wie ihr Bild von den beiden Frauen geprägt wurde. Attribute und Textstellen werden in einem Tafelanschrieb tabellarisch einander gegenübergestellt, zur besseren Verdeutlichung der Gegensätzlichkeit in Adjektive umgewandelt. Äußere und innere Attribute kommen hierbei zur Sprache. Durch gezielte Fragen sollte den Schülerinnen und Schülern bewusst werden, dass die Frauen je einer räumlichen Sphäre zugeordnet sind und so auch die Gespaltenheit Thiels bedingen. Darüber hinaus weisen die Zuschreibungen wenig individuelle Züge auf und werden als allgemeingültig abgesichert, indem der Erzähler sie auch den Leuten des Dorfes in den Mund legt (siehe Tafelbild 1, erste Sicherung).
Polarität: Stereotype Frauenbilder
Auf der Grundlage des Erarbeiteten beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit einem Auszug aus dem Materialanhang der Textausgabe, in dem die Funktion der Frauenfiguren als Projektionsfläche des Mannes thematisiert wird (Anhang Textausgabe, S. 79-81: Helmut Scheuer, Hauptmann: Bahnwärter Thiel, in: Interpretationen, Erzählungen und Novellen des 19. Jahrhunderts, Band 2, München 2008, S. 371-426, S. 399.)
Durch die Auseinandersetzung mit diesem Text gewinnen die Schülerinnen und Schüler ein tieferes Verständnis für die literarischen Entwürfe von Weiblichkeit und den Möglichkeiten einer psychologischen Deutung ebendieser. Ergänzend sollen die beiden zeittypischen Begriffe femme fatale und femme fragile als Stereotype der Literatur eingeführt werden.
Im Auswertungsgespräch werden die beiden Termini femme fragile und femme fatale eingeführt und im Tafelanschrieb ergänzt. An dieser Stelle könnten intertextuelle und historische Bezüge, zum Beispiel durch Verweis auf die Texte Arthur Schnitzlers erfolgen. Der Fachbegriff Stereotyp wird in diesem Zusammenhang erläutert. Die Zusammenfassung (Musterlösung siehe Tafelbild) der Schülerinnen und Schüler sichert das Stundenergebnis abschließend.