Sternhimmel im Juni: Kleine Kulturgeschichte der Waage

Der Tierkreis präsentiert mit Jungfrau und Waage zwei visuell unauffällige Vertreter. Die Waage bietet jedoch interessante Anknüpfungspunkte zur Kulturgeschichte.

Frühlingsdreieck und Sommerdreieck

Das von den Sternen Vega (Leier), Deneb (Schwan) und Altair (Adler) gebildete Sommerdreieck steht in östlicher Richtung nun vollständig über dem Horizont (sternhimmel_komplett_1_juni_22_uhr_MEZ.jpg). Neben der auffälligen Wega dominiert der gelb-orange leuchtende Arcturus (Bärenhüter) den Himmel. Dieser Riesenstern hat ungefähr die Masse der Sonne, aber einen 27-mal größeren Durchmesser. Voraussichtlich wird sich auch die Sonne in etwa fünf Milliarden Jahren zu einem solchen Riesen aufblähen. Arcturus ist Teil des Frühlingsdreiecks, das noch im Südosten zu sehen ist. Die Zeiten des Wintersechsecks sind dagegen vorüber. Aus nordwestlicher Richtung schickt es einen letzten Gruß - die jeweils hellsten Sterne der Zwillinge und des Fuhrmanns sind gerade noch über dem Horizont zu sehen.

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Skorpion und Jungfrau

Das prächtige Sternbild des Skorpions geht gerade in südöstlicher Richtung auf (Abb. 1, zur Vergrößerung des Ausschnitts bitte anklicken). Es liegt in der Nähe des Zentrums der Milchstraße und enthält zahlreiche Sternhaufen und Nebel. Leider ist der Skorpion in unseren Breiten nie vollständig zu sehen. Zudem erreicht er nur eine geringe Höhe über dem Horizont. Sommerliche Dunstschichten und Lichtverschmutzung lassen daher von seiner Pracht wenig übrig. Der hellste Stern des Skorpions, Anatares, ist bei guten Sichtbedingungen jedoch auffällig. Mit seiner rötlichen Farbe erinnert er sofort an das Erscheinungsbild des Mars. Die Jungfrau befindet sich in südwestlicher Blickrichtung. Das Sternbild steht zwar höher am Himmel als der Skorpion, bleibt aber wegen seiner schwach leuchtenden Sterne unscheinbar. Lediglich der hellste Stern der Konstellation, Spica, fällt auf.

Waage

Ehemaliger Herbstpunkt

Das Tierkreiszeichen Waage befindet sich zwischen Skorpion und Jungfrau (siehe Abb. 1). Es ist an Unauffälligkeit kaum zu übertreffen. Unter guten Bedingungen kann man lediglich vier Sterne mit dem bloßen Auge gerade noch problemlos erkennen. Dafür kann die Waage aber auf eine lange und bewegte Geschichte zurückblicken. So steht das Symbol des Sternbilds für das Herbstäquinoktium (Tagundnachtgleiche) - ein Termin, der durch eine Waage perfekt versinnbildlicht wird. In der Antike lief die Sonne zur Zeit des Herbstäquinoktiums, also am 22. oder 23. September, im Sternbild Waage durch den Herbstpunkt und überschritt den Himmelsäquator von Norden nach Süden. Danach wurden die Tage wieder kürzer. Durch die Präzessionsbewegung der Erdachse hat sich seit der Antike allerdings einiges geändert: Aufgrund der Taumelbewegung der Erdachse - die sich ganz analog zu der Achsenbewegung eines trudelnden Spielkreisels verhält - wandern die Tagundnachtgleichen sowie die Sonnenwenden in einem Präzessionszyklus durch den gesamten Tierkreis. Ein solcher Zyklus wird auch als "Platonisches Jahr" bezeichnet und dauert 25.700 bis 25.800 Jahre. Als Folge der Präzession hält sich die Sonne heute nicht mehr im September, sondern vom 31. Oktober bis zum 23. November im Sternbild Waage auf. (Auch das "Prädikat" Polarstern wechselt aufgrund der Präzession. In etwa 12.000 Jahren wird Vega diese "Funktion" übernehmen.)

Die Waage der Ägypter

Auf dem berühmten Tierkreis von Dendera ist die Waage leicht zu finden. Der in Stein gemeißelte Tierkreis, der auf etwa 50 v. Chr. datiert wird, schmückte eine Decke des ägyptischen Hathortempels, bevor es von Napoleons Soldaten nach Paris geschafft wurde. Dort ist er heute im Louvre zu sehen. Wenn Sie bei der Google-Bildersuche "dendera zodiac" eingeben, erhalten Sie zahlreiche Treffer. Für Schülerinnen und Schüler ist es eine interessante Aufgabe, in dem alten Relief den "modernen" Tierkreis zu suchen und herauszuarbeiten. Die Waage war für die Ägypter eine wichtiges Symbol: Unter Aufsicht des Gottes Anubis wurden die Herzen der Verstorbenen mit einer Feder - dem Symbol der Göttin Maat - aufgewogen. Maat stand in enger Verbindung mit den Prinzipien Gerechtigkeit, Wahrheit, und Weltordnung. Befand sich das Herz eines Toten mit diesen Prinzipien im Einklang, so standen dem Verstorbenen alle Vorzüge altägyptischer Jenseitsvorstellungen offen. Sagte sein Herz jedoch gegen ihn aus, erwartete ihn ewige Verdammnis, die ungefähr den christlichen Vorstellungen der Hölle entsprochen haben dürfte. Herz-Skarabäen - weit verbreitete Grabbeigaben - waren oftmals mit Beschwörungsformeln beschriftet, mit denen die Ägypter ihr Herz davon abhalten wollten, allzu freimütig auszusagen?

Zwischenzeitlich bildete die Waage die Scheren des Skorpions

Einige arabische Namen der Waage-Sterne, zum Beispiel "Zuben es Genubi" (südliche Schere) oder "Zuben el Chamali" (nördliche Schere), erinnern daran, dass diese Sterne früher den Scheren des Skorpions zugerechnet wurden (vergleiche Abb. 2). Zuvor - um etwa 2000 v. Chr. - war die Waage aber schon im Zweistromland bekannt. Danach verschwand sie aus ungeklärten Gründen aus den Aufzeichnungen der Astronomen, bis die sternenkundigen Römer sie aus den Scheren des Skorpions wieder hervorholten.

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Dr. André Diesel

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Internationales Astronomiejahr 2009

Dieser Unterrichtsvorschlag wurden im Rahmen des Internationalen Astronomiejahrs 2009 (IYA2009) bei Lehrer-Online veröffentlicht.

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