Probleme des Lernens anhand komplexer Modelle

Das mentale Modell eines Systems ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und in der Regel längst nicht so komplex wie die Wirklichkeit selbst. Es ist nicht einfach, ein mentales Modell aufgrund von Erfahrungen auszudifferenzieren.

Lernen als Veränderung mentaler Modelle

Mentale Modelle als Abbildung der Wirklichkeit

Zwar können die Menschen aufgrund der genannten Faktoren - unbekannte Strukturen, kombinatorische und dynamische Komplexität - die Wirklichkeit selbst nicht völlig verstehen. Um jedoch handeln beziehungsweise entscheiden zu können, entwickeln Individuen -gemeinhin unbewusst- mentale Modelle der Realität. Diese Modelle entstehen mehr oder weniger zufällig, ihre Struktur ist überwiegend abhängig von der jeweiligen Fragestellung, den verfügbaren Informationen und der kognitiven Kapazität beziehungsweise Vorgehensweise, wobei vielfach Defizite hinsichtlich vernetzten Denkens und dynamischer Komplexität vorliegen. Aufgrund ihrer mentalen Modelle treffen Menschen unterschiedlich erfolgreiche Entscheidungen. Ein Landwirt, der sich des Schweinezyklus' bewusst ist, das heißt, die dynamische Komponente in seinem mentalen Modell des Schweinemarkts berücksichtigt, wird vermutlich antizyklisch und in diesem Fall wirtschaftlich erfolgreicher agieren.

Lernen als Veränderung mentaler Modelle

Vor diesem Hintergrund lässt sich "Lernen" auch verstehen als auf Erfahrung oder Reflexion basierende Veränderung von mentalen Modellen mit dem Ziel, erfolgreichere Entscheidungen treffen zu können. Vielfach ist jedoch zu konstatieren, dass durch Erfahrungen kein Lernprozess initiiert wird; so ließ sich der beschriebene Schweinezyklus über Jahrzehnte hinweg beobachten, was den Schluss nahe legt, dass die Landwirte ihre mentalen Modelle nicht verändert haben.

Lernbarrieren in komplexen Zusammenhängen

Für mangelhaftes Lernverhalten in komplexen Systemen lassen sich mehrere Ursachen ausmachen. Neben inadäquater Berücksichtigung dynamischer Komplexität ist insbesondere zu denken an Defizite im vernetzten Denken, Zeitverzögerungen, Kontraintuitivität vieler Phänomene und geringe Testmöglichkeiten für alternative mentale Modelle beziehungsweise Handlungsempfehlungen.

  • Mangelhafte Schulung in vernetztem Denken

    Eine Lernbarriere ist mangelhafte Schulung in vernetztem Denken. So hat eine Aktion oftmals mehrere Auswirkungen, während meistens nur eine Wirkung beabsichtigt und vielfach auch nur beobachtet wird. Die unerwarteten Auswirkungen der Aktion werden meist nicht wahrgenommen beziehungsweise nicht mit der sie verursachenden Aktion in Verbindung gebracht. Dieses Phänomen tritt verstärkt auf, wenn manche der Ursachen nicht unverzüglich sondern mit Zeitverzögerung eintreten.
  • Optimale Lösung widerspricht naheliegender Lösung

    In Entscheidungssituationen, deren adäquate Lösung einer scheinbar offensichtlichen Lösung widerspricht, sind mentale Modelle ebenfalls resistent gegen Veränderungen. Als Beispiel mag wieder der Schweineproduzent dienen, der über Jahrzehnte hinweg dann viele Schweine züchtet, wenn die Preise bereits/noch hoch sind.
  • Risiko durch Anwenden falscher Hypothesen

    Um aus Reflexion lernen zu können, müssten durch Überlegung gewonnene Hypothesen beziehungsweise mentale Modelle auf ihre Wirksamkeit getestet werden. Dem stehen jedoch zwei Probleme entgegen. So können falsche Hypothesen hohe Folgekosten haben, und so von einem entsprechenden Experiment abhalten. Der Bauer, der eine Vermutung über die Hintergründe des Schweinemarkts hat, wird sich möglicherweise aus Angst vor wirtschaftlichem Ruin nicht trauen, verstärkt während niedriger Preisphasen zu züchten. Ein Beispiel aus dem nichtwirtschaftlichen Bereich: Ein Pilot, der eine neue Verhaltensweise in Gewittern testen möchte, wird vermutlich auf einen Test angesichts der Möglichkeit des Absturzes im Falle des Scheiterns seiner Hypothese verzichten und bei den herkömmlichen - eventuell suboptimalen - Flugrichtlinien verharren.
  • Zeitliche Verzögerung

    Ein anderes Problem des Testens neuer Denkmodelle ist eine möglicherweise sehr hohe zeitliche Verzögerung, bis sich die Konsequenzen einer Handlung zeigen. Möchte beispielsweise ein Wirtschaftspolitiker eine Theorie zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit testen, so ist mit mehreren Jahren zu rechnen, bis die erwarteten Effekte eintreten können. Und bei nur einmaligen Versuchen kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Auswirkung auch tatsächlich auf Handlung zurückzuführen ist statt auf anderen Gegebenheiten (wie im Beispiel eines Anziehens der Konjunktur).

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Prof. Dr. Holger Arndt

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