Lehrergesundheit in Pandemiezeiten
Fachartikel
Dieser Fachartikel beschäftigt sich damit, wie Lehrkräfte in Krisenzeiten wie der Covid-19-Pandemie gesund bleiben können. Er zeigt auf, wie sie und Kollegien professionell mit den spezifischen Belastungen, die durch Schulschließungen und hybriden Unterricht entstehen, umgehen können. Gesundheitsgefahren durch Corona "Gesundheit ist ein Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen." (Aus der Definition des Begriffs "Gesundheit" der Weltgesundheitsorganisation WHO von 1946.) Kein Zweifel: Die weltweite Corona-Pandemie ist eine potenzielle Bedrohung für die Gesundheit aller Menschen. Wer sich mit dem Virus infiziert, kann schwer krank werden und sterben. Aber auch ohne eine Infektion bringt die Pandemie zahlreiche Gesundheitsgefahren mit sich: soziale Isolation und Einsamkeit, Depressionen und Suchtkrankheiten, häusliche Gewalt, Stress durch den Verlust von Arbeitsplatz und Einkommen und so weiter. Lange Bildschirmarbeit im Home Office und im Fernunterricht verursacht Rücken- und Augenprobleme, eingeschränkte Sportmöglichkeiten führen zu Bewegungsmangel und Herz-Kreislauf-Krankheiten, durch schlechte Ernährung entsteht Übergewicht, der Mangel an gesellschaftlichen und schulischen Kulturerlebnissen lässt Geist und Seele verkümmern. Lehrergesundheit und Corona Auch Lehrerinnen und Lehrer sind von solchen Nebeneffekten betroffen. In diesem Fachartikel sollen jedoch nicht die allseits bekannten Klagen über abstürzende Lernplattformen, stressigen Wechselunterricht und fehlende Alltagsstrukturen wiederholt werden. Der Fokus liegt vielmehr auf den Ressourcen, aus denen jeder Lehrer, jede Lehrerin schöpfen kann, um gesund und vielleicht sogar gestärkt durch die Pandemie zu kommen. Die Gesundheits-Definition der WHO, in der nicht medizinische Messwerte, sondern subjektiv empfundenes "Wohlbefinden" als Leitplanke formuliert wird, dient als Strukturierungshilfe für die folgenden Überlegungen. Dabei wird auch deutlich, dass sich die verschiedenen Dimensionen gegenseitig beeinflussen. Wegweiser zum physischen Wohlbefinden Viel Bewegung, eine ausgewogene Ernährung und ein Wechsel von Anspannung und Entspannung sind wichtige Voraussetzungen für physisches Wohlbefinden. Im normalen Schulalltag sind Lehrerinnen und Lehrer ständig in Bewegung: vom Bahnhof oder Parkplatz ins Lehrerzimmer, vom Lehrerzimmer über lange Gänge ins Klassenzimmer, die Treppen hoch zur Kursstufe, zwischendrin kurz in die Bibliothek im Nebengebäude oder ins Sekretariat, ein paar Runden draußen während der Pausenaufsicht. Essen und Trinken werden meist nebenher erledigt, und selbst in der Mittagspause muss man sich während der Mahlzeit um Schuldinge kümmern. Es gibt deutlich mehr Anspannung als Entspannung. Und auch die Arbeit zu Hause ist kein Relax-Programm, selbst wenn hier mehr Flexibilität und Ruhe gewährleistet sind. Wie kann man den Arbeitstag sinnvoll gestalten, wenn das heimische Arbeitszimmer den sozialen Raum Schule auf einmal ganz ersetzen muss? Tipps Trotz aller Probleme sollten Sie festhalten: Durch den Wegfall des Schulwegs gewinnen Sie Zeit . Nutzen Sie diese Zeit: Beginnen Sie den Tag mit einem kleinen Fitness-Workout, mit einigen Yoga-Übungen, mit den "Fünf Tibetern" , mit längerer Zeitungslektüre – oder genießen Sie es, einfach länger schlafen zu können! Geben Sie Ihrem Tag Struktur . Auch wenn kein Schulgong erklingt, ist es sinnvoll, sich an einem Stundenplan zu orientieren. Er setzt sich vielleicht etwas anders zusammen als im Präsenzunterricht, wie der Blick auf unterschiedliche Konzepte von Schulen bei einer Internetrecherche zeigt. Hier gibt es Spielräume, die Sie sowie Ihre Kolleginnen und Kollegen kreativ nutzen können. Die Struktur des normalen Schultags spiegelt sich auch in der Kleidung wider. Viele Lehrerinnen und Lehrer ziehen sich zu Hause erst einmal um und tauschen den "Schuldress" gegen Freizeitkleidung. Auch im Lockdown können solche Rituale – in angepasster Form – gepflegt werden. Sie helfen dabei, die Entgrenzung von Arbeit und Privatleben zu vermeiden. Sorgen Sie für einen professionellen Arbeitsplatz zu Hause. Vielleicht besitzen Sie schon ein gut ausgestattetes Arbeitszimmer, aber bestimmt können sie noch einiges optimieren und damit Ihr Wohlbefinden steigern. Überprüfen Sie die elektronischen Geräte: Sind sie auf dem aktuellen Stand? Können Sie gut und gerne mit ihnen arbeiten? Wie sind zum Beispiel die Kabel im Raum verteilt? Würde ein zweiter Bildschirm, eine externe Tastatur für den Laptop, ein neuer Drucker Ihre Arbeit erleichtern? Steht der Computer am richtigen Platz, befindet sich der Bildschirm auf der richtigen Höhe? Mit kleinen Änderungen ist oft viel gewonnen, manchmal lohnt sich auch eine größere Investition, immer aber wird der Wert Ihrer Arbeit sichtbarer. Kontrollieren Sie Ihren Schreibtisch: Wird deutlich, dass es sich um einen Arbeitsplatz handelt? Oder liegen Bilderbücher und Bastelzeug der Kinder, Supermarkt-Prospekte, Urlaubskataloge und Ähnliches in bunter Mischung mit Arbeitsmitteln herum? Übersicht und Ordnung steigern das Wohlbefinden bei der Arbeit. Testen Sie Ihren Bürostuhl: Sitzen Sie gern und gut auf ihm? Erlaubt er ergonomisches Arbeiten und dynamisches Sitzen? Erfüllt er auch Ihre ästhetischen Kriterien? Gibt es auch eine Möglichkeit, im Stehen zu arbeiten, zum Beispiel einen Stehtisch? Wie sind die Lichtverhältnisse: Werden Sie mit ausreichend Licht versorgt, um in Arbeitsstimmung zu kommen? Profis raten zu Lichtquellen auf drei Ebenen: Decke, Stehhöhe, Boden, außerdem eine punktuelle Leuchte, damit die Augen nicht zu schnell ermüden. Auch die Anschaffung spezieller Tageslichtlampen kann sich lohnen, denn sie können den Biorhythmus unterstützen. Essen und trinken Sie mit Lust und Vernunft! Reservieren Sie dafür Räume und Zeit. Der Essplatz sollte, wo immer es möglich ist, nicht zum Arbeitsplatz umfunktioniert werden. Gerade im Homeoffice und Homeschooling ist es wichtig, die sozialen Räume für Arbeit und Freizeit nicht unnötig zu vermischen, damit der Wechsel von Anspannung und Entspannung gelingt. Bleiben Sie in Bewegung ! Statt Skiurlaub und Fitnessstudio können Sie ein Workout im Internet oder der Mediathek mitmachen, Spaziergänge, Joggen und Nordic Walken sind immer möglich. Nutzen Sie auch jede Möglichkeit zu Alltagsbewegungen: aufstehen, um etwas zu holen, Treppensteigen, immer mal wieder in den Garten gehen, zwischendurch ums Viertel laufen, jede Stunde ein paar Minuten Gymnastikübungen halten gesund und machen munter. Pflegen Sie Ihre Hobbys , gehen Sie in die Natur, genießen Sie Kunst und Musik mit allen verfügbaren Medien. Wegweiser zum psychischen Wohlbefinden Geschlossene Schulen, Beschränkungen realer Kontakte, auch zum Kollegium, die Organisation von Lehren und Lernen im digitalen Klassenzimmer – all dies kann die Psyche belasten. Der Stress des Lockdown verführt bisweilen dazu, den "normalen" Schulbetrieb vor Corona zu idealisieren. Auch da gab und gibt es ärgerliche Disziplinstörungen, misslingende Stunden, stressige Pausen im Lehrerzimmer, Probleme mit Eltern und so weiter. Die dort praktizierten Bewältigungsstrategien lassen sich mit etwas Fantasie an die neue Situation im Homeschooling anpassen. Tipps Halten Sie Kontakt zu Ihren Schülerinnen und Schülern, in der Video-Konferenz, im Klassen-Chat, per Telefon, und genießen Sie ihn nach dem Motto "Besser so als gar nicht"! Freuen Sie sich, dass im digitalen Klassenraum deutlich weniger Unterrichtsstörungen auftreten und dass Sie die Rolle des Dompteurs mal ablegen können. Konzentrieren Sie sich auf alles, was gelingt, und freuen Sie sich, wenn es mit der Technik einigermaßen klappt! (Prinzip des halb vollen Glases) Loben und belohnen Sie die Schülerinnen und Schüler und sich selbst, wenn eine Aufgabe gut erledigt wurde. Starren Sie nicht auf Klassenarbeiten und Tests ! Das punktuelle Lernen für die Note ist noch nie nachhaltig gewesen. Beziehungen hingegen sind die Grundlage für jegliches Lernen, wie der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie nachgewiesen hat. Erbitten Sie Feedback , auch von den Eltern. Sie werden erstaunt sein, wie viel Anerkennung Ihre Arbeit erfährt. Denn durch das Lernen zu Hause bekommen Mütter, Väter und sonstige Erziehungspersonen mehr Einblick in das System Schule. Dabei merken viele: Wir sitzen ja alle im selben Boot! Geben Sie umgekehrt auch den Eltern Feedback . Legen Sie den Fokus auf das Positive. Äußern Sie nötige Kritik konstruktiv und machen Sie realistische Vorschläge zur Verbesserung des kritisierten Verhaltens. Auch Eltern erbringen im Homeschooling enorme Leistungen und freuen sich, wenn Sie das wahrnehmen. Bringen Sie Abwechslung und Farbe in die Eintönigkeit des isolierten Distanzlernen! Beginnen Sie die Videokonferenz mit einem kurzen Spiel ("Ich sehe was, was du nicht siehst", Quizfragen und Ähnliches). Treffen Sie eine witzige Vereinbarung für die Videokonferenz: Alle kommen im Pyjama, in der Jogginghose, als Clown, mit einer Zipfelmütze, mit Haustier / Kuscheltier; alle begrüßen sich in einer anderen Sprache als Deutsch (Fremdsprache, Fantasiesprache, Geheimsprache, Muttersprache oder Sprache der Eltern und so weiter). Unternehmen Sie einen virtuellen Ausflug mit Ihrer Klasse, zum Beispiel in einen Zoo, ins Theater, in die Oper oder ein Konzert. Damit es ein richtiges Event wird, ziehen sich alle dem Anlass entsprechend an, machen ein Selfie und posten es. Am nächsten Morgen beginnt der Unterricht mit dem Austausch der Eindrücke und Erfahrungen. Wenn Sie doch einmal von negativen Gedanken, Frust und Ärger heimgesucht werden: Setzen Sie die "positive Brille" auf und versuchen Sie für ein paar Stunden oder einen Tag, nur das Gute an Ihrer Situation wahrzunehmen. Wegweiser zum sozialen Wohlbefinden Die Pandemie führt zu drastischen Veränderungen des sozialen Lebens: Kontaktreduktion, Ausgangssperren, die Schließung von Museen, Konzertsälen, Theatern und Kinos, Einschränkungen des Schulbetriebs und so weiter. Im Unterschied zu Pandemien in früheren Zeiten gibt es heute viele (technische) Möglichkeiten der Kommunikation über Distanzen hinweg. Tipps Vernetzen Sie sich mit Kolleginnen und Kollegen, Schulsozialarbeitern, Beratungslehrern, den Schülerinnen und Schülern und deren Eltern. Im Podcast schule-kann-mehr wird vorgeschlagen, Kommunikationsnetze zu zeichnen, die aufzeigen, wer wann mit wem Kontakt hat. Schaffen Sie Kommunikationsanlässe unter den Lernenden. Gestalten Sie Aufgaben so, dass die Schülerinnen und Schüler sich gegenseitig unterstützen, sich anrufen, Ergebnisse digital austauschen, sich etwas vorbeibringen. Regen Sie die Bildung von stabilen Lerntandems oder Dreiergruppen an, damit die Kooperationsfähigkeit Ihrer Schülerinnen und Schüler nicht verkümmert. Bilden Sie Teams mit den Kollegen, die in Ihrer Klasse unterrichten, mit den Fachlehrkräften der Parallelklassen, mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Schulen. Der Austausch von Material, Konzepten und Ideen, aber auch das Reden über Probleme und Sorgen reduzieren Unsicherheit und Ängste. Hier verbindliche Strukturen zu schaffen, ist eine wichtige Aufgabe der Schulentwicklung, auch über Corona hinaus. Pflegen Sie positive soziale Beziehungen und halten Sie sich fern von Menschen, die prinzipiell jammern und immer nur schwarzsehen! Fördern Sie das Gemeinschaftsgefühl ! Starten Sie mit kleinen Aufgaben oder "Challenges" in den Tag, zum Beispiel: Alle bauen einen Schneemann, pflücken Blumen, basteln etwas und posten ein Foto davon; wer die erste Amsel hört, berichtet darüber, eventuell mit einer Audioaufnahme per Smartphone oder aus dem Internet; die Klasse verabredet sich, zu einer bestimmten Zeit ein Lied zu singen, möglichst draußen. Fragen Sie die Kinder, sie haben bestimmt noch viele weitere Ideen. Schauen Sie gemeinsam nach vorne : Sammeln Sie Ideen für den ersten realen Klassenausflug nach dem Lockdown, für eine Klassenparty (mit Aha-Regeln), für Projekte und so weiter. Fazit Den idealen, vielleicht sogar utopischen "Zustand vollkommenen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens" werden Sie mit diesen Tipps nicht erreichen. Aber Sie können mit einer zuversichtlichen Haltung und kleinen Maßnahmen für mehr Sinnerleben, Selbstwirksamkeit, Selbstfürsorge und Sicherheit sorgen. Eine Reihe an Informationen und Tipps kann Sie bei mehr Self-Care unterstützen. Weiterführende Literatur Kirstein, Nikolaus (2011). 99 Tipps. Lehrergesundheit erhalten. Cornelsen Verlag Scriptor.
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Fächerübergreifend
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Sekundarstufe II