Didaktisch-methodischer Kommentar
Ausgangslage
Ein Engagement für Freiheit und Menschenrechte ohne Rücksicht auf mögliche Folgen ist Ausdruck von Zivilcourage. Menschen, die in der DDR-Diktatur diese demokratischen Werte einforderten, zahlten oft einen hohen Preis: Polizeigewalt, Willkür, es drohten Inhaftierungen oder Entzug der Lebensmittelkarten. Die Auseinandersetzung mit den historischen Ereignissen um den Volksaufstand 1953, der die vom sowjetischen Kommunismus gestützte SED gefährlich ins Wanken brachte, bietet eine wertvolle Chance zur Demokratieerziehung: Erstmals erhob sich eine große Masse an Menschen gegen eine Diktatur im kommunistischen Herrschaftsbereich nach 1945 und ließ die Forderung nach Freiheit und Demokratie laut werden. Gleichzeitig bilden die historischen Ereignisse um den 17. Juni ein Lehrstück darüber, wie autoritäre Diktaturen reagieren, wenn sie ihre Macht durch inneren Widerstand und die Forderung nach freiheitlich demokratischen Werten bedroht sehen. Offener Protest gegen eine Diktatur, wie die Bürgerinnen und Bürger der DDR ihn beim Volksaufstand 1953 zum Ausdruck brachten, erfordert daher ein großes Maß an Zivilcourage. Auch gegenwärtig lässt sich in vielen Teilen der Welt Widerstand der Bevölkerung gegen autoritäre Regime beobachten, der ebenso ein großes Maß an Zivilcourage erfordert (vgl. zum Beispiel Iran, Belarus, Russland, Hong-Kong). Die Bedeutung von Zivilcourage für den Aufbau, die Erhaltung und die Verteidigung freiheitlicher Demokratien wie der Bundesrepublik für die Schülerinnen und Schüler am historischen Beispiel des Volksaufstands erfahrbar zu machen, hat damit einen starken Aktualitätsbezug und großen Wert für die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler zu mündigen demokratischen Bürgerinnen und Bürgern.
Umsetzung im Unterricht
Die Unterrichtseinheit ist auf die Dauer von 2 Unterrichtsstunden (1 Doppelstunde) angelegt. Die Erarbeitung erfolgt problemorientiert und gründet auf zeitgenössischen Quellen und Darstellungen. Sie beginnt mit der inhaltlichen Annäherung an den Begriff "Zivilcourage", indem die Schülerinnen und Schüler zunächst Beispiele für Zivilcourage sammeln. Sie sollen ihr bestehendes Vorwissen aktivieren und Beispiele aus der Vergangenheit, Gegenwart und/oder aus ihrem Leben finden und bündeln. Als Hilfestellung finden die Lernenden ein (auf das Sprachniveau angepasste) Erklärvideo, das in die Bearbeitung miteinbezogen werden kann. Daran anschließend besprechen sie diese Beispiele und formulieren eine gemeinsame Arbeitsdefinition des Begriffs, die die Grundlage für die weitere Bearbeitung der Materialien bildet (Arbeitsblatt 1).
In einer ersten Erarbeitungsphase erschließen die Schülerinnen und Schüler sowohl den Auslöser des Arbeiterprotests als auch die tieferliegenden Ursachen für den Volksaufstand, indem sie sich mithilfe eines Darstellungstextes über die machtpolitische sowie die gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation in der DDR Anfang der 1950er-Jahre informieren und diese herausarbeiten (Arbeitsblatt 2).
Die große Unzufriedenheit, Bedrückung und Not der DDR-Bürgerinnen und Bürger lässt den Volksaufstand für Schülerinnen und Schüler als logische Konsequenz erscheinen. Daher sollen in einer zweiten Erarbeitungsphase anhand unterschiedlicher Quellendokumente wesentliche Gefahren ermittelt werden, denen sich die Menschen mit ihrem Widerstand gegen das Regime unmittelbar aussetzten. Den Abschluss der Erarbeitung bildet der Rückgriff auf die eingangs formulierte Definition des Begriffs "Zivilcourage", auf deren Basis der Aufstand von den Schülerinnen und Schülern beurteilt werden soll. Die Unterrichtseinheit schließt mit einem Zitat, welches die Schülerinnen und Schüler zu einer grundlegenden Diskussion darüber anregen soll, welche Bedeutung Zivilcourage beim Aufbau, der Erhaltung und Verteidigung von Demokratien zukommt. Hierbei sollen die Schülerinnen und Schüler auf selbst gewählte Beispiele aus der Geschichte oder der Gegenwart zurückgreifen – zu denken wäre z.B. an den vielfältigen Widerstand im Nationalsozialismus oder den Kampf Swetlana Tichanowskajas und ihrer Mitstreiterinnen sowie zahlreicher Belarussinnen und -russen gegen die Diktatur Alexander Lukaschenkos (Arbeitsblatt 3). Zur selbstständigen Überprüfung und Sicherung der Arbeitsergebnisse stehen den Schülerinnen und Schülern interaktive Übung zur Verfügung.
Ein fakultatives Zusatz- oder Differenzierungsangebot, welches die Frage aufwirft, ob die Unterstützung der sogenannten "Querdenker-Bewegung" ebenfalls als ein Akt von Zivilcourage gewertet werden kann, bietet die Möglichkeit, das Thema nochmals zu aktualisieren und an die Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler anzubinden (Arbeitsblatt 4).
Die Aufgaben sind so angelegt, dass sich Medienformate und unterschiedliche Sozialformen abwechseln. Je nach Lernsituation können diese durch die Lehrkraft individuell angepasst werden. Die Arbeitsvorschläge können, sofern nicht als Klassengespräch oder -diskussion ausgewiesen, grundsätzlich in Einzel- oder Partnerarbeit bearbeitet werden.
Hinweis: Die Arbeitsblätter stehen auch in Einfacher Sprache bereit, um einen binnendifferenzierten Einsatz im Schulunterricht zu ermöglichen. Lernenden kann die Nutzung von Zusatzmaterialien zur Vorbereitung oder Unterstützung während der Erarbeitung angeboten werden. Informationen und Erklärungen zur Geschichte der DDR in Einfacher Sprache finden sie unter "Weiterführende Angebote".