Koedukation und Monoedukation

So selbstverständlich die Koedukation inzwischen auch ist, birgt sie dennoch auch ihre Nachteile. Eine Auseinandersetzung damit führt zum Konzept der "reflexiven Koedukation".

Koedukationsdebatte

Allgemeiner Fortschritt

Bis in die 1960er Jahre war in der Bundesrepublik Deutschland monoedukativer Unterricht, also getrennt geschlechtlicher Unterricht an reinen Mädchen- und Jungenschulen vorherrschend. Mädchenschulen galten dabei oft als minderwertiger und hatten im Schnitt eine schlechtere Ausstattung. Mit der sogenannten Koedukationsdebatte wurde ein vorwiegend gemeinsamer Unterricht gefordert und umgesetzt. Die in den 60er und 70er Jahren entstehenden koedukativen Schulen wurden "allgemein als Fortschritt zu mehr Gleichberechtigung und Chancengleichheit gesehen" (Stürzer, 2003: 171).

Der "heimliche Lehrplan"

In den 80er Jahren wurde jedoch auch Kritik laut: Diskutiert wurde unter anderem der "heimliche Lehrplan", der zur Benachteiligung von Mädchen im Schulalltag führe. Mit dem heimlichen Lehrplan war gemeint, dass neben dem offiziellen Lehrplan "ein inoffizielles Programm besteht, das ebenso - oft unbewusst - auf die Gestaltung des Unterrichts einwirkt und ihn oft viel stärker bestimmt als die erklärten Unterrichtsziele" (Lehmann, 2003: 45). Lehrkräfte, so die Forderung, sollten schon während der Ausbildung für Geschlechterfragen und eine Gleichstellung in der Schule sensibilisiert werden.

Wer profitiert von der Koedukation?

Nachdem unter der Geschlechterfrage lange Zeit fast ausschließlich die Mädchenförderung diskutiert wurde, rücken gegenwärtig auch die Jungen stärker in den Blick. Der Bildungserfolg von Mädchen - gemessen an Noten und Schulabschlüssen - hat gegenüber dem der Jungen zugenommen (vergleiche Diefenbach/Klein, 2002: 938). In der neueren Literatur und Forschung wird diese Feststellung aufgegriffen und eine Berücksichtigung und Erweiterung der Koedukationsdebatte um die Perspektive der Jungen gefordert. Es wird - auch angesichts der schlechteren Schulleistungen von Jungen - infrage gestellt, ob Jungen wirklich die Profiteure der Koedukation sind, wie bis dahin (vor allem unter dem Einfluss der Frauenbewegung und der feministischen Forschung) angenommen worden war.

Monoedukation

Überraschende Forschungsergebnisse

In den 80er Jahren überraschte die Feststellung, dass junge Frauen, die ein naturwissenschaftliches oder technisches Studium aufnahmen, zu einem weit überproportionalen Anteil von Mädchenschulen kamen. Dies entfachte die Koedukationsdebatte erneut mit geänderter Zielrichtung. Sollte man nicht doch wieder zur Monoedukation zurückkehren, um Mädchen den Weg in zukunftsträchtige naturwissenschaftlich-technische Berufe zu ebnen? Die Autorinnen und Autoren der Projektgruppe F.I.T Frauen in der Technik sind der Meinung, dass sich Koedukation "in diesem Bereich deutlich zum Nachteil der Mädchen auswirkt" (Diegelmann, 1995: 22), da Technikängste dadurch reproduziert und verstärkt würden. In geschlechtergetrenntem Informatik-Unterricht konnte gezeigt werden, dass Mädchen sich dort freier entfalten und ein breiteres Spektrum von Technikinteresse und Technikkompetenz entwickeln konnten als in gemischten Gruppen. Geschlechterstereotypisierungen, die in gemischten Gruppen wirksam sind, traten deutlich weniger auf.

Nachteile

Allerdings zeigten sich auch die Nachteile der Monoedukation, dass nämlich zum Beispiel "durch eine äußere Differenzierung in geschlechtshomogene Gruppen die Wichtigkeit der Kategorie `Geschlecht` hervorgehoben wird und Rollenklischees gefestigt werden" (Koch-Priewe, 2009: 19). Deutlich wurde auch, dass Mädchen wie Jungen sich eher gegen monoedukativen Unterricht aussprechen.

Koedukation zeitweise aufheben

Letztlich besteht heute weitgehend Konsens darüber, dass die Koedukation von Jungen und Mädchen nicht grundsätzlich in Frage zu stellen ist. Allerdings gibt es die Empfehlung, Jungen und Mädchen zeitweise zu trennen, um einerseits Geschlechter-Dynamiken und Rollenzuweisungen, die in gemischten Gruppen auftreten, bewusst zu machen und ihnen auch entgegenwirken zu können und um andererseits auf die jeweiligen Stärken und Schwächen gezielter eingehen zu können.

Reflexive Koedukation

Unter dem Begriff der "Reflexiven Koedukation" (vergleiche Faulstich-Wieland, 1994) werden heute Fragen nach mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Schule diskutiert. "Beim Konzept der reflexiven Koedukation geht es nicht mehr um die Trennung von Mädchen und Jungen im Unterricht, sondern darum, sich die jeweiligen Besonderheiten und Lernerfordernisse der Mädchen und Jungen bewusst zu machen, sie reflexiv zu bearbeiten und den Unterricht dementsprechend geschlechtergerecht durchzuführen, das heißt auch Geschlechterhierarchien gezielt abzubauen" (Stürzer, 2003: 182). Es geht um Lernformen und -inhalte, die beiden Geschlechtern gerecht werden, was auch monoedukativen Anfangsunterricht oder eine zeitweise Trennung in einzelnen Fächern nicht ausschließt. Ein gleichberechtigtes Zusammenlernen von Jungen und Mädchen ist Ziel des Konzeptes. In Studien konnte gezeigt werden, dass Koedukation eine bewusstere Vorstellung und Auffassung von der Gleichberechtigung der Geschlechter hervorbringt. Im Konzept der reflexiven Koedukation geht es darum, den Unterricht bewusst an den genuinen Interessen von Schülerinnen und Schülern auszurichten.

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