Innovatives Geschichtsprojekt: Paulskirchen-Room-Tour mit Louise Otto-Peters
Wie Geschichte wieder lebendig wird, demonstriert das von der Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung umgesetzte und von der Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte geförderte Projekt "Mit Verstand und Tatkraft – Frauen kämpfen für die Demokratie". Lernende setzen sich dafür spielerisch und innovativ mit einem häufig noch vergessenen Thema auseinander: Dem Einsatz von Frauen für die Demokratie in Deutschland. Mit Bezug auf die Gegenwart entwickeln sie Formate, die zeigen: Das damals hat mehr mit uns heute zu tun, als wir auf den ersten Blick vermuten.
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Wenige Tage vor dem 18. Mai 1848… In der Frankfurter Paulskirche soll zum ersten Mal ein gesamtdeutsches Parlament tagen. Der Verleger und Revolutionär Robert Blum ist unter den gewählten Abgeordneten. Bevor er von Leipzig aus aufbricht, stoppt ihn in seiner Zeitungsstube Louise Otto-Peters. "Louise, ich muss los! Übermorgen schon findet die Versammlung in der Paulskirche statt und – ", sprudelt es aus dem hektisch seine Sachen zusammenkramenden Robert. "Und ich bin SO FROH, dass du dabei bist! Vergiss nicht, ihnen zu sagen, dass wir bessere Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen brauchen!", pflichtet ihm Otto-Peters bei. Und weil Robert aufgrund seiner Eile nur ein flüchtiges "natürlich" erwidert, erinnert sie ihn auch noch einmal daran, dass in der Paulskirche nur Männer debattieren dürfen und dass Robert doch bitte, bitte dafür sorgen solle, dass Frauen beim nächsten Mal zumindest mitwählen dürfen… und dass sie arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen sollen. So oder so ähnlich kann sich ein Dialog zwischen Otto-Peters und Blum im Vorfeld der ersten demokratischen Gehversuche in Deutschland abgespielt haben. Die beiden kannten sich durch einen Aufruf des Revolutionärs aus seiner Zeitung. Während eines Workshops der Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung für die Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte diente dieser fiktive Dialog der Drehbuchautorin Hannah Schopf Schülerinnen und Schülern als Einstieg in eine filmische Auseinandersetzung mit dem Thema. Die 9b aus der Liebigschule in Frankfurt näherte sich so dem Inhalt des Projekts "Mit Verstand und Tatkraft – Frauen in der Demokratiegeschichte" auf eine spielerische, dramaturgische Weise.
Anhand zielgruppenadäquater Primär- und Sekundärquellen zu den Protagonistinnen der Revolution 1848/49 widmeten sich die Jugendlichen den Geschichten der Frauen. Anschließend verfassten sie mit der Unterstützung von Schopf selbst Skripte zu spezifischen Ereignissen aus ihrem Leben, welche gegenwärtigen Social-Media-Formaten oder Filmen aus dem Fernsehen entsprechen. Auf der Theaterbühne der Liebigschule wurden diese dann geprobt, bevor sie im kommenden Jahr in der Paulskirche verfilmt werden sollen. Dafür werden die Schülerinnen und Schüler von der Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung mit professionellen Mikrofonen, Stativen, Selfiesticks und Kameralichtern sowie Requisiten ausgestattet.
"Room-Tour" in der Paulskirche
In Frankfurt entstanden so zahlreiche spannende Ideen: Eine Gruppe will Louise Otto-Peters in drei verschiedenen Zeiten auftreten lassen und so die verschiedenen Phasen der politischen Emanzipation der Frauen nachzeichnen – bis ins Jahr 2060. In diesem soll eine Parlamentarierin zu den Abgeordneten sprechen und mit Bezug auf die Kämpfe Otto-Peters feststellen, dass nun endlich Geschlechtsparität erreicht wurde. Andere Gruppen wählten das Social-Media-Format "Room-Tour", widmeten sich einer klassischen Dokumentation oder eines nie stattgefundenen Interviews in der tagesschau zwischen Blum und Otto-Peters.
Die tagesschau vom 4. September 1989
1989 sorgten mutige Menschen dafür, dass die Sozialistische Einheitspartei Deutschland (SED) in der ehemaligen DDR ihre Macht verlor und die Mauer fiel. Eine Wiedervereinigung Deutschlands, im Kalten Krieg getrennt in zwei politische Systeme, war nun endlich wieder denkbar. Zu diesen mutigen Menschen zählten auch viele Frauen. In Leipzig waren dies etwa Katrin Hattenhauer, Gesine Oltmanns oder auch Petra Lux. 35 Jahre später widmete sich die Jahrgangsstufe 9 der Freien Oberschule Rahn Education ihren Geschichten und (re-)konstruierten sie auf eine eigene Weise. Besondere Zugänge zur deutschen Demokratiegeschichte wurden von den Jugendlichen entwickelt: An der Leipziger Nikolaikirche versetzte uns eine Gruppe der Jugendlichen in das Jahr 1989 zurück und drehte die tagesschau vom 4. September 1989 nach. Mittels einer Straßenumfrage wurde an Petra Lux erinnert oder mit einem Reenactment der Protestaktion von Katrin Hattenhauer und Gesine Oltmanns versucht, die Brisanz der damaligen Situation einzufangen – mit Repressionen seitens der Staatsgewalt und einem glücklicherweise friedlichen Ausgehen. Mit diesen Videos erinnern die Jugendlichen an die Gewalt der Diktatur. Durch den Bezug auf die Gegenwart und ihre Erzählweisen verdeutlichen sie, dass dieser Kampf für Demokratie auch heute gelebt werden muss – in Zeiten, in denen die Demokratie von Radikalen wieder vermehrt unter Beschuss gerät.
In Kürze wird für Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler eine Homepage zum Projekt entstehen, auf dem Unterrichtsmaterialien, didaktische Hinweise, ein Materialpool ausgewählter Frauen in der Demokratiegeschichte und die in den Workshops aufgenommenen Videos zu sehen sein werden.
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