Thomas Brussig: Am kürzeren Ende der Sonnenallee
Unterrichtseinheit
Liebesgeschichte, Jugendroman, Zeitporträt oder Ostalgie-Produkt? Thomas Brussigs Roman bietet vielfältige Zugangsmöglichkeiten zur Textanalyse, Interpretation und Buchkritik. Micha Kuppisch wohnt am kürzeren Ende der Sonnenalle, gleich hinter dem "antifaschistischen Schutzwall" in Ost-Berlin. Für die westlichen Schulklassen, die vom Aussichtspunkt auf ihn herunterschauen, ist er "'n echter Zoni". Dabei dreht sich auch bei Micha und seinen Freunden alles um Musik, Zukunftspläne und die Liebe. Die modular aufgebaute Unterrichtsreihe kann im Unterricht flexibel eingesetzt werden und ist jederzeit beliebig erweiterbar, je nachdem, wie und in welcher Form das Buch vorher oder nachher besprochen wird. Alle Vorschläge der Reihe sind auf eine Erweiterung der eigentlichen Textarbeit und Interpretation des Buches ausgerichtet. Neben der Recherche zum historischen Hintergrund stehen produktionsorientierte Verfahren in Bild und Text im Mittelpunkt. DDR und BRD: Systeme im Vergleich Der Besuch von Onkel Heinz bei Familie Kuppisch macht Unterschiede deutlich. Widerstand in der DDR Jimi Hendrix, die Stones und Sartre - alles höchst illegal in der DDR. Ostalgie, Systemkritik, Märchen? Meinungen zum Buch Zum Abschluss stehen Beurteilungen zum Roman im Mittelpunkt. Inhaltliche Ziele Die Schülerinnen und Schüler sollen sich handlungs- und produktionsorientiert mit dem Roman auseinander setzen, indem sie Collagen zu ihren Eindrücken und Gedanken erstellen oder Stegreif- und Rollenspiele durchführen. eigene Texte schreiben, um den Erzähl- und Sprachstil des Buches zu analysieren und zu hinterfragen. die DDR- und BRD-Geschichte der 1970er Jahre anhand der Alltagsgeschichte kennen lernen und vergleichen. den Roman sowohl in seiner erzählten Zeit (um 1978) und in seiner Entstehungszeit inklusive der autobiographischen Bezüge deuten. über die Auseinandersetzung mit dem fremden System der DDR die Unterschiede zwischen ihrem Leben und dem der Protagonisten nachvollziehen. Ziele aus dem Bereich der Medienkompetenz Die Schülerinnen und Schüler sollen gezielt im Netz nach Informationen und Bildmaterial recherchieren und ihre Ergebnisse dokumentieren. eine Homepage (im Inter- oder Intranet) veröffentlichen und die Konsequenzen der Veröffentlichung reflektieren. mit Word eigene Texte schreiben und gestalten. die Besonderheiten von Hypertexten erfahren und selbst anwenden. "Interaktiv" mit dem Internet erarbeiten die Schülerinnen und Schüler in dieser Reihe Hintergrundinformationen und Interpretationsansätze zum Roman. Die Arbeit mit Buch und Web trägt zur Verortung des Romans zwischen einem Zeitporträt der DDR und einem "ostalgischen" Jugendroman bei. Die Klasse lernt Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Jugendlichen Ende der siebziger Jahren kennen und zieht Vergleiche zur aktuellen Situation. Die Reihe bietet somit Anregungen zur Erweiterung der eigentlichen Textarbeit und zur Interpretation des Buches. Thema Thomas Brussig: "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" - Leben in der DDR zwischen Ostalgie und Realität Autorin Svenja Engemann Fächer Deutsch Zielgruppe Klasse 9/10 Zeitraum variabel (ab 9 Stunden) Verlaufsplan Verlaufsplan Sonnenallee Medien PC mit Internetzugang, Word Textvorlage Thomas Brussig: Am kürzeren Ende der Sonnenallee. Fischer-Verlag. 5. Auflage, Frankfurt/Main 2005. ISBN: 3-596-14847-2. Preis: 7,90 € Die Protagonisten im Steckbrief Zum Einstieg erstellen die Schülerinnen und Schüler arbeitsteilig Steckbriefe zu den Protagonisten des Romans. Wichtig ist dabei, dass die drei Gruppierungen "Familie", "Freunde" und "System" jeweils mindestens doppelt vertreten sind. Durch die Arbeit mit Word und die Hinterlegung der Steckbriefe in lo-net können die Steckbriefe jederzeit erweitert und verändert werden. Außerdem kann die Klasse bei Interpretationsaufgaben darauf zurückgreifen. Ähnliches empfiehlt sich zum Abschluss der Reihe für eine Zusammenfassung des Buches nach der Lektüre der 14 Einzelkapitel. Hilfreich ist es, dass je eine Person den Inhalt eines Kapitels, eine andere die im Kapitel vorkommenden Personen stichwortartig festhält und auch diese Informationen online stellt. So können zum Beispiel auch Schülerinnen und Schüler, die krankheitsbedingt fehlen, dem Unterricht folgen. Collagen als Verständnis- und Interpretationshilfe Über eine Collage entwickelt die Klasse ein erstes Gefühl für die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen einer Jugend in der Bundesrepublik und in der DDR. Die ausgestellten Collagen (online oder per Frontpage im Schul-Intranet, zum Beispiel durch die Einrichtung eines "Ausstellungsraumes") bieten die Möglichkeit, die eigenen Eindrücke und Gedanken zu reflektieren. Außerdem können sie immer wieder für die Romaninterpretation genutzt werden. Freie und gelenkte Recherche Bei der Bildrecherche bieten sich je nach dem Kenntnisstand der Klasse mehrere Möglichkeiten an. Zum einen können die Schülerinnen und Schüler auf vorgegebenen Webseiten oder mit der Bildersuche von Yahoo beziehungsweise Google ganz frei im Netz nach Bildern suchen. Das Stichwort "DDR" führt allerdings auf beiden Seiten nicht zum gewünschten Ergebnis. Wer sucht, sollte Phrasen wie "Leben in der DDR", "Alltag in der DDR" oder "Mauer DDR" verwenden. Ist der Zeitrahmen für eine Bildrecherche der Klasse zu eng, kann die Lehrkraft Bilder vorgeben und sie entweder im virtuellen Klassenraum bei lo-net hinterlegen, per Beamer präsentieren oder ganz traditionell ausdrucken und im realen Klassenraum aufhängen. DDR-Bilder.de: Sektorengrenze Das erste Bild zeigt die Zonengrenze an der Sonnenallee im Jahr 1960. LeMO: Das geteilte Deutschland 1949-89 Hier finden die Schülerinnen und Schüler übersichtliche und bebilderte Hintergrundinformationen. Die siebziger Jahre Die Schülerinnen und Schüler werden bei der Lektüre - über den Alltag von Micha und seinen Freunden - unweigerlich den Bezug zu ihrer Lebenswelt ziehen, vielleicht ganz unbewusst. Es ist daher sinnvoll, dass sie an dieser Stelle mehr über das Leben in der Bundesrepublik der späten 1970er Jahre erfahren. Gleichzeitig kann der Vergleich zwischen dem Leben in der BRD und dem Leben in der DDR gezogen werden. Sehr gut geeignet für diesen Vergleich sind die virtuellen Ausstellungen des Hauses der Geschichte (zum Beispiel die Kinoschlager in Ost und West oder der politische Witz in Ost und West). Hintergrundinformationen bietet auch das Lebendige virtuelle Museum Online (LeMO), ein Gemeinschaftsprojekt des Deutschen Historischen Museums und des Hauses der Geschichte (ein kurzer Einblick ist zum Beispiel per Referat möglich). Haus der Geschichte: Film - Die 70er Jahre Ein Überblick über das Kino im Westen und im Osten zeigt die Unterschiede der Systeme. Nicht in Politikgeschichte verlieren Dabei muss die Klasse den roten Faden, das Buch "Sonnenallee", im Auge behalten und darf sich nicht in Politikgeschichte verlieren. Gerade die Seiten des LeMO ermöglichen eine gute Überleitung zum nachfolgenden Schwerpunkt "Widerstand". (Wer möchte, kann hier eine Kurzgeschichte aus dem Leben in der BRD um 1980 einschieben.) Die Tagebucheinträge, die die Schülerinnen und Schüler verfassen, dienen der Annäherung an die Protagonisten. Um die Haltung der Figuren des Buches gegenüber dem DDR-Staat nachvollziehen zu können (Schwerpunkt "Widerstand", Buchkapitel 2,3,6), kann die Klasse per Systemvergleich die Figuren schon einmal kennen lernen und deren Perspektiven untersuchen. Den meisten Jugendlichen - sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland - ist das Leben in der DDR wahrscheinlich fremder als das in der Bundesrepublik vor 1989, da ihr heutiger Lebensstil eher dem der damaligen BRD entspricht (im Hinblick auf das politische und wirtschaftliche System oder Kultur- und Freizeitangebote). Westmusik, Flüsterwitze und Republikflucht Im Roman werden verschiedene Formen des Widerstands beschrieben, die Jugendlichen heute sicherlich nicht bekannt und verständlich sind (das Hören verbotener Musik, das Ausgehen mit "Westlern", die scheinbare Anpassung und ein Fluchtversuch, offene Proklamationen, das Schreiben von Eingaben an offizielle Stellen und so weiter). Der Zugang über die so genannten "Flüsterwitze" erleichtert es ihnen, sich der Zwänge des Systems und der Restriktionen, die die Menschen bedrohten, bewusst zu werden. Musik als Politikum Die Erweiterung des Bausteins "Widerstand" lässt sich anhand der Aspekte "Musik" und "andere Formen des Widerstands" vornehmen. Musik ist für die Jugendlichen deswegen interessant, weil sie einen Vergleich zu eigenen musikalischen Vorlieben und Interessen ziehen können. Sie erhalten in diesem Zusammenhang Einblicke in die Abstufungen von "Verboten": Verbieten die Eltern ein Musikstück oder den Besuch eines Konzerts, droht schlimmstenfalls Hausarrest. Was aber geschah mit den Jugendlichen in der DDR, die verbotene Musik hörten? Sensibilisierung für Ostalgie Auch um eine erste Sensibilisierung für den Vorwurf der "Ostalgie" im Buch zu erhalten, bietet es sich an, den politischen Widerstand in der DDR mit den Schülerinnen und Schülern intensiver zu besprechen. In Klasse 10 wird diese Thematik gegebenenfalls gerade im Geschichtsunterricht behandelt - die Fächerverbindung bietet sich hier in jedem Fall an -, so dass ein kurzes Referat ausreicht. Besprochen werden sollte auf jeden Fall die Geschichte von Erika Riemann "Die Schleife an Stalins Bart". Die Schülerinnen und Schüler können zum Beispiel als Vorbereitung in einer Hausaufgabe eine Kurzgeschichte zu Riemanns Buchtitel erfinden (im Stil des Romans "Sonnenallee"), um zu verdeutlichen, wie grausam das DDR-Regime sein konnte und wie wenig dies im Buch "Sonnenallee" deutlich wird. Ideen für kreative Kritik Dieser Baustein ist beliebig erweiterbar: Neben der Auseinandersetzung mit den vorhandenen Rezensionen zu Brussigs "Sonnenallee", zum Beispiel in Form einer Talkshow, besteht die Möglichkeit, die Schülerinnen und Schüler eine eigene Rezension schreiben zu lassen. Veröffentlichte Kritiken können analytisch miteinander verglichen werden oder eine Rezension wird ausführlich behandelt, indem die zugehörigen Textstellen aus dem Buch den kritischen oder positiven Anmerkungen der Kritiker zugeordnet werden. Spurensuche Ost Wichtig ist, dass die Schülerinnen und Schüler selbst eine Verortung des Buches zwischen "Systemkritik" und "Ostalgie" vornehmen. Der Aspekt "Ostalgie" kann ebenfalls vertieft werden, indem die Klasse zum Beispiel das Fernsehprogramm nach Ostalgieshows durchsucht, Geschäfte mit "Ostprodukten" recherchiert oder das "Ostalgie-Spiel" aqusprobiert. Mit diesem Baustein wäre bereits ein Abschluss der Reihe möglich. ZDF.de: Ostalgie Ob Spreewaldgurken, Ampelmännchen oder Rennpappe: Der Osten war und ist Kult. Das ZDF stellt Geschichten, (n)ostalgische Anekdoten und Erinnerungen zusammen. Wikipedia.de: Ostalgie Die Ostalgie ist auch in dem freien Online-Lexikon vertreten, mit vielen weiterführenden Links zu DDR-Symbolen und politisch-historischen Hintergründen. Glückliches Vergessen "Glückliche Menschen haben ein schlechtes Gedächtnis und reiche Erinnerungen". Nach dem Schlusssatz und dem Schlusskapitel drängt sich die Frage auf: Was ist Vergangenheit, was ist Erinnerung, was ist Märchen? Zum Abschluss steht damit noch einmal ein interpretatorischer Ansatz im Mittelpunkt. Losgelöst von der DDR-Geschichte und vom Genre "Jugendroman" wird die Frage nach den Märchen-Elementen im Buch erarbeitet. Besonders das Schlusskapitel wirkt wie ein Happy-End im Märchen und wirft die Frage auf, was diese literarische Form hinsichtlich der Wirkung und der Aussagekraft des gesamten Buches bewirkt. Damit erhält der Vorwurf der "Ostalgie", der in den Augen der Schülerinnen und Schüler das Buch in seinem Wert vielleicht geschmälert hat, eine ganz neue Erklärung, nämlich die der gewollten Verklärung der Erinnerung. Kreativ und produktiv Es bieten sich zwei produktionsorientierte Zugänge an. Das Arbeitsblatt 6 muss dabei an den gewählten Zugang angepasst werden. Die Schülerinnen und Schüler schreiben im Stil des Buches ein ergänzendes fünfzehntes Kapitel. Hier kann ein Kapitelthema vorgegeben werden, zum Beispiel die Wiedervereinigung, die im Buch selbst nicht thematisiert, aber angerissen wird. Dieser Zugriff führt auf die politikgeschichtliche Ebene zurück und kann als Überleitung für den Geschichts- oder Politikunterricht dienen. Die Schülerinnen und Schüler schreiben die Liebesgeschichte von Miriam und Micha, den Fluchtversuch von Frau Kuppisch, Wuschels Plattenkaufaktion oder andere Themen des Romans in ein Märchen um. Dieser Zugriff führt zur Frage nach der Aussagekraft von unterschiedlichen literarischen Genres. Erweitert werden kann der Zugriff durch selbst geschriebene Gedichte zu den Märchen-Themen "Flucht", "Sehnsucht", "Einsamkeit", "Liebe", die eine Überleitung zum nächsten Unterrichtsthema in Deutsch ermöglichen. Brussig, Thomas: Am kürzeren Ende der Sonnenallee. Fischer- Verlag, 4. Auflage, Frankfurt/Main 2002. Krischel, Volker: Erläuterungen zu Thomas Brussig, Am kürzeren Ende der Sonnenallee. Königs Erläuterungen Band 409, Hollfeld 2001. Lammers, Michael: Interpretationshilfe Deutsch, Thomas Brussig, Am kürzeren Ende der Sonnenallee. Stark- Verlag, Freising 2000.
-
Deutsch / Kommunikation / Lesen & Schreiben
-
Sekundarstufe I,
Sekundarstufe II,
Primarstufe,
Spezieller Förderbedarf,
Berufliche Bildung