Mein Kafka – Lern- und Lesezirkel
Unterrichtseinheit
In diesem Lern- und Lesezirkel zum Autoren Franz Kafka beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II mit Kafkas Leben, seiner Welt und seinem Werk. Das zentrale Ziel liegt in der Steigerung der Lesemotivation.In einer Klasse 12 steht bei einigen das Lesen von Büchern generell nicht gerade hoch im Kurs. Es wird eher als Zumutung denn als Lust empfunden, wenngleich immer wieder freundlich betont wird, die "Lektüren", die man im Deutschunterricht "behandle", lese man selbstverständlich durch, und die seien auch manchmal "gar nicht so schlecht". Lesen als Arbeit wird akzeptiert, Lesen als Freude, als interessanter Ausflug in fremde Welten ist vielen unbekannt.Dieser Lern- und Lesezirkel eignet sich für eine erste "Tuchfühlung" mit dem Autor und seinem Werk in der Sekundarstufe II. Lesemotivation zu erreichen, ist eines der zentralen Ziele. Daten und Fakten rund um Kafka werden eigenständig recherchiert, Meinungen werden formuliert und Ergebnisse protokolliert. Die schulische Kafka-Arbeit Die Autorin des Lern- und Lesezirkels rund um Kafkas Leben und Werk beschreibt den Weg zu dieser Unterrichtskonzeption. Lern- und Lesezirkel rund um Kafka Der Lern- und Lesezirkel selbst besteht aus neun Stationen. Mehr zu deren Inhalt und Aufbau lesen Sie hier. Fachkompetenz Die Schülerinnen und Schüler lernen Kafkas Leben und Werk kennen. nehmen zentrale Bilder und Aussagen wahr und erklären sie. erkennen die verschiedenen Textsorten in Kafkas Werk und beschreiben ihre Funktion. lernen einschlägige Werke und ihre Inhalte kennen. deuten Kafkas Eigenarten aus psychologischer Sicht. treffen eigene Lese-Entscheidungen und schildern Leseeindrücke. Medienkompetenz Die Schülerinnen und Schüler erkennen und nutzen das Internet als Wissensressource. erstellen und redigieren in einer Textverarbeitung eigene Texte. erstellen eigene kommentierte Linklisten mit. recherchieren aktuelle Literatur in Büchershops im Internet. Das schwierige Unterrichtsthema "Kafka" Kafka fasziniert - freilich nur, wenn man sich auf ihn einlässt. Natürlich gibt es dafür bewährte Wege: Wir lesen Kurzprosa und analysieren sie, wir lesen den "Prozess" und wenden verschiedene Interpretationsmethoden an, wir wandeln anlässlich einer Studienfahrt auf Kafkas Spuren. Trotzdem: Viele erinnern sich noch heute mit verständnisloser Ablehnung an die Texte der Schulzeit, die auf den ersten Blick so banal erscheinen und deren Sinn sich doch nur schwer erschließt. Erster Annäherungsversuch: "Dichter leben" Ich überlege mir also, wie ich meinen 12ern, den literarisch Interessierten und den erklärten Nichtlesern gleichermaßen, diesen schlichtweg unumgänglichen Autor Franz Kafka näher bringen kann. Beim Stöbern im Regal meiner Tochter stoße ich auf ein Buch mit dem verheißungsvollen Titel "Dichter leben. Eine Literaturgeschichte in Geschichten" (Hetmann, Röbbelen, Tondern: "Dichter leben. Eine Literaturgeschichte in Geschichten". Beltz & Gelberg 2001.). Darin findet sich ein Kapitel über Franz Kafka. Hier erzählt der Jugendbuchautor Harald Tondern eine Geschichte, halb authentisch, halb fiktional, aus dem letzten Lebensabschnitt Kafkas. Anonymes Kennenlernen Meinen Versuch, die 23 Jungen und Mädchen meiner Klasse zum Kafka-Lesen zu verführen, starte ich am nächsten Tag - anonym. Ich lese die Geschichte vor, sorgfältig bemüht, den Namen des Dichters durch das Personalpronomen zu ersetzen. Aufgabe für die Schülerinnen und Schüler ist "nur" zuzuhören - und einige Notizen zur Unterstützung des Gedächtnisses zu machen. Am Schluss der Geschichte fassen die Schülerinnen und Schüler zusammen, was sie über den bisher unbekannten Schriftsteller alles erfahren haben, welches Bild sie von ihm gewonnen haben. Ein erstes Porträt des Dichters Aus den unterschiedlichen Beiträgen entsteht allmählich ein erstes Porträt des Dichters und seiner Zeit: Die erzählte Geschichte spielt in Kafkas letzter Lebensphase im Berlin der 1920er Jahre, die galoppierende Geldentwertung bestimmt die Lebensverhältnisse, Kafkas Krankheit schränkt ihn ein und quält ihn. Das Szenario zeigt ihn und die junge Dora Diamant in einem Berliner Park, wo Kafka einem kleinen Mädchen, das seine verlorene Puppe beweint, durch erfundene Briefe der Puppe über ihren Schmerz hinweghilft. Der Erzähler webt dabei wichtige Informationen über Kafkas Leben und Schreiben mit ein: seine jüdische Herkunft, Jugend und Berufstätigkeit in Prag, das problematische Verhältnis zum Vater, die Bedeutung des Schreibens und den Widerwillen, seine Texte anderen zum Lesen zu geben. Aufdecken der Identität und erste kleine Recherchearbeit Die Schülerinnen und Schüler scheinen von Kafka beeindruckt. Seine Identität wurde inzwischen aufgedeckt, die biografischen Informationen aus dem Kapitel erhält eine Schülerin als Grundlage für ein Kafka-Plakat für die "Galerie der großen Dichter" in unserem Klassenzimmer. Die Frage, warum denn einer der größten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts aus Prag stamme, führt zu einer kleinen Recherche-Hausaufgabe (mit dem Titel "Kafka - Daten und Fakten") für die nächste Stunde. Kafka "live": "Der Nachbar" Literaturunterricht kann natürlich nicht auf Primärtexte verzichten. Also lesen wir die kleine parabolische Erzählung "Der Nachbar", die sich im Kurzprosa-Kapitel unseres Deutschbuchs findet. Da ein Hörbuch nicht aufzutreiben war, lese ich den Text zunächst selbst vor, die erste Textbegegnung soll nicht isoliert, stumm und unsinnlich, sondern im gemeinsamen Zuhören stattfinden. Ich fordere die Schülerinnen und Schüler auf, ihre ersten Leseeindrücke zunächst für sich zu notieren, um sie dann im Plenum zu sammeln. Reaktionen der Lernenden Nach einigen Beiträgen zum Inhalt ("komisch, wie der reagiert", Verfolgungswahn, "in so einer Welt der Konkurrenz möchte ich nicht leben" und so weiter) spricht ein Mädchen aus, was wohl einige empfinden: "Also, eigentlich ist da doch eine ganz simple Geschichte. Hätte das der Kafka nicht einfacher sagen können? Die Geschichte gestern, die hat mir gefallen, da würde ich gerne noch mehr davon hören. Aber Kafkatexte? Die sind nichts für mich!" Textrezeption Die oben beschriebenen Reaktionen auf Fremdes, Unverständliches kenne ich wie jeder und jede Deutschlehrende. Oft setze ich mich mehr oder weniger verständnisvoll darüber hinweg und gehe sozusagen zur Tagesordnung über: Schulischer Literaturunterricht soll und muss sich ja gerade um die Texte kümmern, die die Schülerinnen und Schüler alleine nicht lesen und verstehen würden, es geht um Horizonterweiterung und Vermittlung kultureller Tradition, ohne die unsere Gegenwart nicht zu verstehen ist. Also fangen wir an mit dem Lesen, Analysieren, Interpretieren, machen wir uns an die Arbeit, die schulisches Lesen nun mal ist! Wenn wir den Autor erstmal kennen gelernt haben, geht das sicherlich ganz leicht. Vom Text nach Prag Für Kafka suche ich dieses Mal einen neuen Weg. Ich rekonstruiere meine Begegnungen mit Kafka - von der Kurzprosa, die ich in der Schule gelesen habe und die mich neugierig machte, über intensive Leseerlebnisse mit dem "Prozess" und, später, Elias Canettis "Der andere Prozess". Die Begegnungen reichen bis zur ernsthaften literaturwissenschaftlichen Arbeit an Kafka im Rahmen erster Unterrichtsversuche in der Oberstufe, und schließlich, nicht zu vergessen, viele Kafka-Begegnungen vor Ort in seiner Heimatstadt Prag. Der Lern- und Lesezirkel rund um Kafka Kafkas Werke, Bücher und Aufsätze aus der Sekundärliteratur, ältere und neue Biografien, Zeitschriften, Reiseführer und so weiter füllen ein ganzes Kafka-Regal in meinem Arbeitszimmer. Daraus wähle ich aus, was mir auch für meine Schülerinnen und Schüler geeignet erscheint. Zu den Materialien entwerfe ich einen "Lesezettel" mit Arbeitsaufträgen und Fragen. Ganz am Schluss suche ich im Internet noch passende Bilder im Web, die den Aufforderungscharakter der Arbeitsblätter und damit die Motivation erhöhen sollen. Ziel: Lesemotivation In dieser Sequenz geht es vorrangig nicht um Textanalyse und Interpretation, sondern um den Aufbau von Lesemotivation und Neugierde auf den Autor Franz Kafka und seine Welt. Deshalb werden sehr unterschiedliche "Umgangsformen" angeboten: freie, jedoch zeitlich begrenzte und gezielte Internetrecherchen, auch Bildrecherchen, verschiedene Schreibaufgaben (wie Kurzrezension zu einer Biografie, Anschaffungsvorschlag für die Bibliothek) und, ganz pragmatisch, eine Suche nach preiswerten Kafka-Ausgaben. Differenzierungsmöglichkeiten Der Zirkel kann je nach Kursgröße in Einzel- oder Partnerarbeit durchlaufen werden. Die Stationen können - je nach Interessenlage der Schülerinnen und Schüler - mehr oder weniger ausführlich bearbeitet werden, so dass schon von der Aufgabenstellung her innere Differenzierung möglich ist. Ergebnis-Sicherung Die Ergebnisse der Stationenarbeit werden in einem individuell zu verfassenden Text "Mein Kafka" zusammengefasst und reflektiert. Damit wird der literaturdidaktischen Prämisse Rechnung getragen, dass eine persönliche Begegnung mit literarischen Texten eine wichtige Voraussetzung dafür ist, sich auf ihn verstehend einzulassen. Ergebnis-Austausch Von allen Stationen aus haben die Lernenden Zugriff auf selbst erstellte Arbeitsdokumente, in denen die Ergebnisse der Stationenarbeit gesichert werden. Diese Dokumente können zum Ergebnis-Austausch gleich für alle zum Kommentieren freigegeben werden. Alternativ werden die Arbeits- und Rechercheergebnisse im Plenum vorgestellt und besprochen. An den Lernzirkel anschließen kann sich eine "klassische" Literaturunterrichtseinheit zu Kafkas Werk: zu exemplarischen Texten aus der Kurzprosa, zum Roman "Der Proceß" oder zur Erzählung "Die Verwandlung", in der die Schülerinnen und Schüler textnahes Lesen üben und sich mit verschiedenen Interpretationsmethoden Kafkas Werke erschließen.
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Deutsch / Kommunikation / Lesen & Schreiben
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Sekundarstufe II