Inklusiver Unterricht: Rechte und Pflichten in der Ausbildung
Unterrichtseinheit
Die hier vorgestellten Materialien veranschaulichen exemplarisch, wie ein Arbeitsauftrag zum Thema "Rechte und Pflichten von Auszubildenden" durch differenzierte Arbeitsaufträge und gestufte Lernhilfen für den inklusiven Unterricht gestaltet werden kann.Im Rahmen dieser Unterrichtssequenz zum Thema "Rechte und Pflichten von Auszubildenden" soll aufgezeigt werden, wie ausgehend von einem Erwartungshorizont Lernhilfen entwickelt werden können, die es ermöglichen, auch Lernende mit Förderbedarf zu integrieren und auf einem Mindestniveau zu qualifizieren. Die Schülerinnen und Schüler erhalten eine offene Aufgabenstellung, die bewusst provokant gehalten ist: Sie sollen sich mit der fiktiven Situation auseinandersetzen, aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage von ihrem Ausbildungsbetrieb darum gebeten zu werden, auf eine Ausbildungsvergütung zu verzichten und stattdessen eine monatliche Entschädigung in Höhe von 150 Euro für die dem Betrieb entstehenden Kosten zu zahlen. Die Lernenden sollen die gesetzlichen Hintergründe recherchieren und begründet entscheiden, ob die Forderungen rechtens sind. Vorbemerkungen Didaktische Vorbemerkungen Die Differenzierung der Zielsetzung auf drei Kompetenzniveaus (Mindeststandard, Regelstandard, Expertenstandard) nach Gerhard Ziener (2006) wird hier vorgestellt. Aufgabenstellung Differenzierte Aufgabenstellung und Lernhilfen Am Beispiel einer differenzierten Aufgabenstellung wird aufgezeigt, wie es mit gestuften Aufgaben und Lernhilfen gelingen kann, eine Förderung für alle Lernenden zu ermöglichen. Erziehung zur Selbstständigkeit Da das Ziel des Unterrichts ist, die Lernenden zur Selbstständigkeit zu erziehen, sollte die Auswahl der Aufgabenstellung und der gestuften Lernhilfen soweit möglich den Lernenden überlassen werden.Die Schülerinnen und Schüler können eine offene Aufgabenstellung bearbeiten, indem sie aus mehreren Niveaustufen (Mindeststandard, Regelstandard, Expertenstandard) die für sie passend gestufte Aufgabenstellung auswählen. aus mehreren Hilfsangeboten für die Bearbeitung das für sie passende auswählen und nutzen (Informationen nachschlagen, notieren, auswerten und aufschreiben, eine Musterlösung auswerten, korrigieren et cetera). ihre affektive Zustimmung oder Ablehnung der Forderungen des Betriebs durch Recherche und das Verfassen einer schriftlichen Stellungnahme differenzieren. Ein Ausbildungs- und Prüfungsgegenstand für den Unterricht in der Berufsschule im Bereich Wirtschafts- und Sozialkunde gewerblich-technischer Ausbildungsberufe ist das Prüfungsgebiet "Der Jugendliche in Ausbildung und Beruf". Im Unterricht erwerben die Auszubildenden die Fähigkeit, ihre Rechte im Ausbildungsbetrieb durchzusetzen und ihre Pflichten zu respektieren. Am Ende der Ausbildung müssen die zentralen Inhalte des Prüfungsgebietes in Prüfungsaufgaben benannt werden können. Binnendifferenziertes Unterrichten kann idealtypisch zwei Bedeutungen haben: unterschiedliche Ziele setzen oder unterschiedliche Hilfen beim Erreichen eines vergleichbaren Zieles geben. In der Unterrichtspraxis zeigt sich in der Regel, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler das gleiche Ziel im Sinne einer gleich guten Beherrschung des Unterrichtsinhaltes erreichen können. Lehrkräfte müssen Unterricht jedoch immer auch als Prüfungsvorbereitung betrachten und darauf hinarbeiten, dass allen Lernenden eine erfolgreiche Bewältigung von Prüfungssituationen möglich wird. Drei Niveaustufen Die von Gerhard Ziener (2006) vorgeschlagene Differenzierung der Zielsetzung auf drei Kompetenzniveaus hat den Vorteil, beides zu ermöglichen: unterschiedliche Ziele vorzugeben und zugleich ein zentrales gemeinsames Ziel für alle im Auge zu behalten - das Bestehen einer Prüfung. Ziener schlägt vor, drei Zielstandards festzulegen, auf denen eine Prüfung bestanden werden kann: einen Expertenstandard, einen Regelstandard und einen Mindeststandard. Sein Vorschlag der differenzierten Zielbeschreibung von drei Niveaustufen weicht von der in der Schule üblichen Tradition ab, zum Beispiel im Abitur die Niveaustufen "gut" (11 Punkte) und "ausreichend" (5 Punkte) zu beschreiben. A - Mindeststandard Nicht die zu erwartende volle und eine noch ausreichende Erfüllung der Anforderungen soll nach Ziener beschrieben werden, sondern zunächst ein Niveau, das mindestens von allen Lernenden erreicht werden muss, damit die Anforderungen im Allgemeinen erfüllt werden: das sogenannte Mindestniveau oder der Mindeststandard. "Zunächst wird das Mindestniveau dadurch markiert sein, dass nach Möglichkeit alle Schülerinnen und Schüler, also auch die Schwächsten, dieses Niveau erreichen sollten. Gleichzeitig muss man umgekehrt davon ausgehen, dass diejenigen Schülerinnen und Schüler, die über dieses Mindestniveau nicht verfügen, das Unterrichtsziel nicht erreicht hätten" (Ziener 2006, Seite 48). Als Beispiel nennt Ziener für ein nicht erreichtes Mindestniveau einen Grundschüler, der nur über Kenntnis von 13 statt 26 Buchstaben verfügt und damit zwar die Hälfte aller Buchstaben kennt, "damit aber nicht über eine ausreichende Kompetenz" verfügt, um einen Text zu lesen oder zu verfassen. B - Regelstandard Zieners Regelstandard beschreibt eine durchschnittliche Beherrschung des Unterrichtsstoffes, also "dasjenige Kompetenzniveau, das alters- und schulartspezifisch für realistisch, das heißt sachgerecht und zumutbar gehalten wird" und das "sowohl unter- als auch überschritten werden wird" (Ziener 2006, Seite 50). C - Expertenstandard Schließlich will Ziener diese beiden Niveaustufen durch einen Expertenstandard ergänzt wissen, um zu definieren, was die maximal zu erwartende ideale Leistung sein könnte: "Experten- oder Maximalstandards formulieren ein theoretisch erreichbares Höchstniveau an Kompetenzen; ihre Formulierung orientiert sich weniger an realen Schülerleistungen, als eher am fachwissenschaftlichen Wortsinn des jeweiligen Kompetenzstandards" (ebd., Seite 51). Vorteil: Förderung für alle Diese Stufung hat einen entscheidenden Vorteil: Ziener geht davon aus, dass das Formulieren eines Mindestniveaus helfen kann, alle so zu fördern, dass sie das Bestehensziel erreichen können. Auf der Grundlage dieser nicht "guten Leistung" können Unterstützungsmaßnahmen entwickelt werden, die den Abstand zwischen einer exzellenten Beherrschung und einer Mindest- oder Durchschnittsleistung verringern helfen können. Seine Niveaustufung soll nicht in erster Linie Benotungen legitimieren, sondern Fördermaßnahmen ermöglichen: "Das Ziel lautet: Ausstattung von Kindern und Jugendlichen mit Kenntnissen, Fähigkeiten und Haltung"(ebd., Seite 78) mithilfe unterschiedlicher angemessener Methoden. Die Komplexität des hier vorgestellten Modells ist alltagstauglich in dem Sinn, dass es eine Orientierung dafür bieten kann festzustellen, was Binnendifferenzierung sein könnte, wenn genügend Zeit als Ressource für die Unterrichtsvorbereitung zur Verfügung steht. Im Alltagsunterricht muss aus der hier dargestellten Vielzahl an Interventionsmöglichkeiten gezielt ausgewählt werden. Am besten so, dass Lernende Routinen ausbilden, auf die sie bald zurückgreifen können, um das nächst höhere Niveau erreichen zu können. Die offene Aufgabenstellung lautet: "Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten Ihres Ausbildungsbetriebes bittet man Sie, für einen begrenzten Zeitraum auf einen Teil Ihrer Ausbildungsvergütung zu verzichten und Überstunden zu leisten sowie monatlich 150 Euro als Entschädigung für die dem Betrieb entstehenden Kosten zu zahlen. Entscheiden Sie begründet, ob Sie die Forderungen Ihres Ausbildungsbetriebs erfüllen müssen. Diskutieren Sie zunächst zu zweit: Wie würden Sie spontan reagieren? Welche Forderungen finden Sie zumutbar, welche nicht? Wo würden Sie sich erkundigen oder recherchieren? Erarbeiten Sie dann eine schriftliche Stellungnahme zu den Forderungen des Ausbildungsbetriebs." A - Expertenstandard Eine Musterlösung auf Expertenniveau könnte wie folgt lauten: Einleitungssatz Die meisten Forderungen des Ausbildungsbetriebes sind nicht zu erfüllen, da sie dem "Berufsbildungsgesetz vom 23. März 2005 (BGBl. I S. 931), das zuletzt durch Artikel 436 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist", widersprechen. Begründung Zwar ist es nach § 17 BBiG zulässig, dass Mehrarbeit geleistet wird, und nach § 13 Satz 3 muss der Auszubildende den Weisungen des Betriebes befolgen. Jedoch muss der Ausbildende nach § 14 Satz 3 Mittel, die zur Ausbildung notwendig sind, kostenlos zur Verfügung stellen, und nach § 17 Absatz 1 ist eine angemessene Ausbildungsvergütung zu zahlen, die mit der fortschreitenden Ausbildungsdauer ansteigt. Zudem ist nach § 12 Absatz 2 Satz eine Entschädigungszahlung des Auszubildenden an den Ausbildenden eine sogenannte "Nichtige Vereinbarung". Schadensersatz kann vom Auszubildenden nicht gefordert werden, da ein solcher nach § 23 nur für den Fall einer Kündigung ohne "wichtigen Grund" und "ohne Einhalten einer Kündigungsfrist" vorgesehen ist. Schlussfolgerung Eine Entschädigung durch den Auszubildenden kann also nicht verlangt werden. Eine solche Forderung ist nichtig. Überstunden müssen nach § 17 BBiG Absatz 3 geleistet, aber entweder mit Freizeit oder einer anderen Vergütung bezahlt werden. Zulässig wäre also, dass ich als Auszubildender Überstunden leiste, die ich später als Freizeit zurückbezahlt bekomme. B - Regelstandard Eine Prüfungskommission wird mit der folgenden Lösung auf einem Regelniveau zufrieden sein, die auf die oben dargestellte ausführliche, mit zahlreichen Zitaten aus dem Gesetzestext versehene und strukturierte Begründung verzichtet und stattdessen kurz und knapp auf die fehlende "angemessene Vergütung" und die Nichtigkeit der Forderung nach einer Entschädigungszahlung verweist und etwa wie folgt formuliert ist: Begründung "Die Forderungen sind nicht zu erfüllen, denn nach dem Berufsbildungsgesetz muss der Ausbildende dem Auszubildenden nach § 17 BBiG eine "angemessene Vergütung" zahlen. Die Forderung des Ausbildenden nach "Entschädigung" ist nach § 12 BBiG "nichtig". C - Mindeststandard Ein Mindestniveau sollte erreicht sein, wenn verständlich mindestens ein Einwand gegen die Forderungen formuliert ist, so zum Beispiel: Begründung "Dem Auszubildenden muss nach dem Berufsbildungsgesetz eine angemessene Vergütung gezahlt werden." Oder: "Der Auszubildende muss nach dem Berufsbildungsgesetz keine Entschädigung zahlen." Individuelles Erreichen einer der drei Niveaustufen Denkbar ist nun, den Lernenden individualisiert das Erreichen einer der drei Niveaustufen als Ziel zu setzen, indem die Aufgabenstellung binnendifferenziert gestuft wird. Im Detail sähe eine solchermaßen gestufte Aufgabenstellung wie folgt aus: Unterstützung bei der Zielerreichung Differenzierte Lernhilfen können die Lernenden dabei unterstützen, die auf unterschiedlichem Niveau fixierten Ziele zu erreichen. Als Lernhilfen sind erstens Anleitungen, zweitens gestufte Lernhilfen, drittens Analysen von Musterlösungen und viertens Analysen von falschen Lösungen denkbar. A - Expertenstandard Auf Expertenniveau sind Hilfen sinnvoll, die die Selbständigkeit der Bearbeitung fördern und zugleich deutlich machen, dass eine intensive und mehrfach auf Zitate aus dem BBiG fundierte Auseinandersetzung mit allen Forderungen verlangt ist. Aufgabenstellung "Begründen Sie ausführlich und strukturiert, ob Sie die Forderungen Ihres Ausbildungsbetriebes erfüllen müssen und ob Ihr Ausbildungsvertrag unter diesen Voraussetzungen weiter gültig ist. Beziehen Sie sich ausführlich auf mehrere (drei bis vier) Paragraphen des BBiG." Lernhilfe "Bearbeiten Sie die Aufgabe so selbstständig wie möglich. Bedenken Sie, dass Sie alle Forderungen kommentieren und sich dabei auf alle relevanten Paragraphen des BBiG beziehen müssen." B - Regelstandard Auf Regelniveau wäre eine Hilfestellung sinnvoll, die mehr Strukturen vorgibt und eine vollständige Bearbeitung der Aufgabenstellung, die drei Forderungen beinhaltet, einfordert. Zudem schränkt der Verweis auf die Paragraphen 12 bis 23 die zu lesende Anzahl von gesetzlichen Bestimmung nur punktuell ein und erzwingt eine Auseinandersetzung mit Paragraphen, die von der Aufgabenstellung nicht berührt und für die Problemstellung nicht relevant sind (so zum Beispiel der Paragraph 23 "Schadensersatz"). Aufgabenstellung "Begründen Sie, ob Sie alle Forderungen Ihres Ausbildungsbetriebes erfüllen müssen." Lernhilfe Gehen Sie wie folgt vor: Markieren Sie die drei Forderungen des Betriebes. - Schreiben Sie die Forderungen in eine Tabelle. - Lesen Sie dann die § 12 bis § 23 des BBiG und markieren Sie, welche hier von Bedeutung sein können. - Notieren Sie diese bedeutsamen Paragraphen in die Tabelle. - Erarbeiten Sie nun eine mit Zitaten aus dem Gesetz fundierte Argumentation, die alle Forderungen einbezieht. C - Mindeststandard Lernhilfen auf einem Mindestniveau müssen mehrere Lernhürden berücksichtigen. Erst wenn diese Hürden überwunden werden, kann später in einem weiteren Schritt das Regelniveau erreicht werden. Zu reagieren wäre auf: grundsätzliche Probleme im Leseverstehen der offenen Aufgabenstellung, die mehrere Forderungen und Fachbegriffe aus dem BBiG enthält (Ausbildungsvergütung, Überstunden, Schadensersatz, Entschädigung). spezifische Probleme im Leseverstehen, wenn Deutsch nicht die Muttersprache der Lernenden ist. Probleme im Leseverstehen des Gesetzestextes, in dem zum Finden der Lösung durch das Bewerten der Forderungen nachgeschlagen werden muss. Aufgabenstellung "Wählen Sie mindestens eine problematische Forderung aus. Begründen Sie, warum Sie sie nicht erfüllen müssen." Lernhilfen Hier finden Sie zwei Lernhilfen im Word-Format für das Erreichen des Mindestniveaus: Analyse von Musterlösungen Auch ein Arbeitsauftrag zur Analyse von Musterlösungen kann eine sinnvolle Hilfe darstellen: "Lesen Sie die folgende Musterlösung und markieren Sie den Abschnitt/die Abschnitte, der/die mindestens in einer richtigen Lösung enthalten sein muss/müssen. Übernehmen Sie diese/n Abschnitt/e in Ihre Begründung." Analyse von falschen Lösungen Eine Variante ist der Auftrag, eine Lösung mit Fehlern zu korrigieren. Bei der Erstellung der fehlerhaften "Lösung" kann die Experten-Musterlösung umgeschrieben werden, indem Fehler eingebaut werden: 1. Lesen Sie die folgende Lösung und markieren Sie die Abschnitte, die falsch sind. 2. Korrigieren Sie diese Abschnitte: Einleitungssatz Die meisten Forderungen des Ausbildungsbetriebes sind zu erfüllen, da sie dem "Berufsbildungsgesetz vom 23. März 2005 (BGBl. I S. 931), das zuletzt durch Artikel 436 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist", entsprechen. Begründung Zwar ist es nach § 17 BBiG unzulässig, dass Mehrarbeit geleistet wird, und nach § 13 Satz 3 muss der Auszubildende den Weisungen des Betriebes befolgen, jedoch kann der Ausbildende nach § 14 Satz 3 Mittel, die zur Ausbildung notwendig sind, in Rechnung stellen, und nach § 18 ist eine angemessene Ausbildungsvergütung zu zahlen, die mit der fortschreitenden Ausbildungsdauer ansteigt. Zudem ist nach § 12 Absatz 2 Satz 1 eine Entschädigungszahlung des Auszubildenden an den Ausbildenden eine sogenannte "mögliche Vereinbarung". Schadensersatz kann gefordert werden, da ein solcher nach § 23 für den Fall von wirtschaftlichen Schwierigkeiten vorgesehen ist. Schlussfolgerung Eine Entschädigung an den Ausbildenden kann also verlangt werden. Überstunden müssen aber nach § 17 Absatz 3 nie geleistet werden. Eine solche Forderung ist nichtig, auch wenn sie mit Freizeit oder anderen Vergütungen bezahlt wird.
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