Einführung in das Schulrecht: Aufsicht und Haftung
Fachartikel
In diesem Fachartikel rund um das Schulrecht geht es um das Thema "Aufsicht und Haftung". Dr. Florian Schröder, Jurist und Experte für Schulrechtsfragen, geht auf Terminologie, die Regelung der Aufsichtspflicht an Schulen und (mögliche) rechtliche Folgen ein. Der vorliegende Beitrag ist Teil einer systematischen Einführung in das Schulrecht und in schulrelevante weitere Rechtsgebiete. Bereits erschienen sind Verfassungs- und grundrechtliches Fundament von Schule Einführung in das allgemeine Verwaltungsrecht für Schule Rechte und Pflichten der Schulleitung Rechte und Pflichten der Lehrkräfte Einführung in das Schulrecht: der rechtliche Rahmen der Konferenzarbeit Schulische Sanktionen gegenüber Schülerinnen und Schülern: Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen Da Schulrecht in wesentlichen Teilen Landesrecht ist, ist es nicht möglich, auf die Rechtslage jedes der 16 Bundesländer im Detail einzugehen. Dort, wo landesrechtliche Regelungen maßgeblich sind, wird in der Beitragsserie daher stellvertretend für die Flächenländer jeweils anhand des niedersächsischen Landesrechts erläutert, stellvertretend für die Stadtstaaten steht das hamburgische Landesrecht. Aufsicht und Aufsichtspflicht Die Landesschulgesetze enthalten Regelungen zur Aufsicht, die regelmäßig primär die Lehrkräfte über die Schülerinnen und Schüler zu führen haben. Möglich ist auch eine vorübergehende Übertragung der Aufsichtspflicht auf Dritte, wobei sich die Regelungen hier in einer Weise unterscheiden, die für die Praxis nicht ganz unbedeutende Auswirkungen hat: Während etwa § 31 Absatz 2 des Hamburgischen Schulgesetzes (HmbSG) eine Übertragung der Aufsichtspflicht nicht nur auf andere Schülerinnen und Schüler und Erziehungsberechtigte zulässt, sondern auch auf sonstige Dritte, ist beispielsweise § 62 Absatz 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) strenger und lässt Dritte (inklusive Personal des Schulträgers, also zum Beispiel Schulsekretärinnen und -sekretäre oder -hausmeisterinnen und -hausmeister) nicht zu. Die örtlichen Grenzen der Aufsicht werden regelmäßig wie folgt gezogen: Aufsicht ist zu gewährleisten in der Schule, auf dem Schulgelände, bei Schulveranstaltungen andernorts und häufig an ÖPNV-Haltestellen am Schulgelände. Eine klare Zahl, bei bis zu wie vielen Metern Abstand eine Haltestelle noch "am Schulgelände" liegt, gibt es nicht, insoweit kommt es auf die jeweiligen räumlichen und topographischen Umstände des Einzelfalls an. Bei Schulveranstaltungen, die außerhalb des Schulgeländes stattfinden, ist empfehlenswert, die Schulveranstaltung erst vor Ort beginnen zu lassen, sodass die Anreise nicht in die Verantwortung der Lehrkraft fällt, sondern diese erst am vereinbarten Treffpunkt auflebt. Sinn und Zweck der Beaufsichtigung definiert § 31 Absatz 1 Satz 2 des Hamburgischen Schulgesetzes paradigmatisch wie folgt: "Durch die Beaufsichtigung sollen sie vor Gefahren geschützt werden, die sie aufgrund ihrer altersgemäßen Erfahrung nicht selbst übersehen und abwenden können, und vor Handlungen bewahrt werden, mit denen sie sich oder anderen Schaden zufügen können." Teilweise finden sich auch Konkretisierungen hinsichtlich der Anwesenheit (gerade für Pausenzeiten), wenn zum Beispiel § 62 Absatz 1 Satz 2 Niedersächsischen Schulgesetzes festlegt, dass die Aufsichtsführenden auch verhindern sollen, dass sich Schülerinnen und Schüler der Primar- oder Sekundarstufe I absentieren. Was genau "Aufsicht" bedeutet beziehungsweise erfordert, ist gesetzlich nicht vorgegeben, sondern lässt sich nur aus den diesbezüglichen Verlautbarungen der Kultusverwaltungen sowie der zivilrechtlichen Rechtsprechung (Land- und Oberlandesgerichte sowie Bundesgerichtshof) ableiten. Demnach gilt, dass Aufsicht präventiv, kontinuierlich und aktiv geführt werden soll, das Maß an Aufsicht aber einzelfall-, nämlich situations-, alters- und reifeabhängig ist, die aufsichtsführende Person (nur) das tun muss, was objektiv nötig und subjektiv möglich ist, es für kürzere Zeiträume (und ohne, dass eine besondere Gefahrensituation vorliegt) ausreichend sein kann, wenn sich die Schülerinnen und Schüler "beaufsichtigt fühlen", im Rahmen der Prävention gerade auf typische Risiken und Gefahrenquellen samt Schutzmöglichkeiten hinzuweisen ist. Aus Beweisgründen empfiehlt es sich, getroffene Maßnahmen (zum Beispiel Unterweisungen im Umgang mit Chemikalien, Maschinen oder ähnliches) kurz zu dokumentieren. Für Schulleitungsmitglieder gelten die vorgenannten Maßstäbe nicht nur, wenn sie selbst Aufsicht führen, sondern auch schon im Vorfeld, wenn sie aufgefordert sind, die Aufsicht so zu organisieren, dass diese auch planerisch die Maßstäbe erfüllt. Mangelt es hieran (etwa weil ein sehr großer Schulhof objektiv nicht von einer Person beaufsichtigt werden kann), kann ein sogenanntes Organisationsverschulden eintreten, bei welchem es auf das individuelle Verschulden der konkret aufsichtführenden Person nicht mehr ankommt, da die Aufsichtspflichtverletzung bereits durch die mangelhafte Organisation verschuldet wurde. Haftung und (mögliche) rechtliche Folgen Nur, wenn es während der Aufsicht zu einem Unfall oder sonstigen Schaden kommt, stellt sich die Frage nach der Haftung, sofern eine geschädigte Person Schadensersatz-Ansprüche geltend macht. (Zwar können Aufsichtspflicht-Verletzungen in Extremfällen auch disziplinarische/ arbeitsrechtliche oder sogar strafrechtliche Konsequenzen haben, jedoch wiegen die finanziellen Risiken letztlich in der Regel am schwersten, weswegen sich die hiesige Darstellung auf diesen Aspekt beschränkt.) Für die Haftungsfrage sind zwei Perspektiven zu unterscheiden, nämlich das sogenannte Außenverhältnis, also Ansprüche der oder des potentiellen Geschädigten gegen das Bundesland (in Gestalt der Schule) oder eine Lehrkraft, und das sogenannte Innenverhältnis, also etwaige anschließende Regressansprüche des Landes gegen die Lehrkraft, die die Aufsichtspflicht verletzt hat. Ausgangspunkt eines Schadensersatz-Anspruchs, den man im hiesigen Kontext als Staatshaftungsanspruch bezeichnet, ist § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Verbindung mit Artikel 34 des Grundgesetzes (GG). Danach haben Bedienstete in der öffentlichen Verwaltung die von ihnen vorsätzlich oder fahrlässig verursachten Schäden im Außenverhältnis selbst zu tragen, dies aber nur, wenn die oder der Geschädigte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Letzteres ist glücklicherweise praktisch stets gegeben, denn Geschädigte können das Bundesland als Arbeitgeber beziehungsweise Dienstherrn der aufsichtsführenden Lehrkraft in Anspruch nehmen. Das ist aus wirtschaftlichen Gründen vorteilhaft, denn Bundesländer können niemals Insolvenz anmelden und sind damit der vorzugswürdige Schuldner. Hinzu kommt, dass ein Gerichtsverfahren mit mehreren Beklagten (Land und Aufsichtsführende oder Aufsichtsführender) teurer sind, als wenn nur das Land verklagt wird; außerdem kann eine aufsichtsführende Person nicht zeugenschaftlich befragt werden, wenn sie selbst verklagt wurde. Im Außenverhältnis, also gegenüber Geschädigten, haben Aufsichtsführende daher regelmäßig nichts zu befürchten. Problematischer kann das Innenverhältnis sein, also die Möglichkeit des Landes, sich den an Geschädigte oder deren Versicherungen gezahlten Schadensersatz bei seinen Bediensteten, die die Aufsichtspflicht verletzt haben, zurückzuholen. Hier wird gemäß § 48 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG; für angestellte Lehrkräfte gilt Gleiches über § 3 Absatz 7 des Tarifvertrages für den Öffentlichen Dienst der Länder/ TV-L) das Privileg gewährt, dass ein Regress nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Aufsichtspflicht-Verletzung möglich ist. In den üblichen Fällen einer einfach fahrlässigen Aufsichtspflicht-Verletzung droht der Lehrkraft also weder im Innen- (Regress) noch im Außenverhältnis ein finanzielles Risiko in Bezug auf entstandene Schäden. Die verschiedenen Formen des sogenannten Verschuldens definieren sich dabei wie folgt: (Einfache) Fahrlässigkeit ist laut Rechtsprechung "die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt", grobe Fahrlässigkeit ist Selbiges in besonders grobem Maße. Welche Sorgfalt im jeweiligen konkreten Fall "erforderlich" war, orientiert sich an den Umständen des Einzelfalls und der Situation vor/ während des Schadensereignisses. Vorsatz ist das wissentliche und willentliche Herbeiführen des Schadens, das in der Praxis niemals vorliegen dürfte beziehungsweise allenfalls in der – indes schwer nachzuweisenden – Form des sogenannten bedingten Vorsatzes, bei welchem sich die aufsichtsführende Lehrkraft des Risikos nicht nur bewusst war und es für vernachlässigbar hielt (grobe Fahrlässigkeit/ "Es wird schon gut gehen."), sondern das Risiko erkannt hatte und bewusst ignorierte (bedingter Vorsatz/ "Und wenn schon."). Bei allen genannten Verschuldensarten gilt laut Bundesgerichtshof eine sogenannte Beweislastumkehr, das heißt, dass – anders als üblich – das Land beziehungsweise die Lehrkraft bei behaupteter Aufsichtspflichtverletzung beweisen muss, dass keine Aufsichtspflichtverletzung begangen wurde (§ 832 BGB), nicht hingegen die/ der Geschädigte ein Fehlverhalten beweisen muss. Beschädigung oder Abhandenkommen von Gegenständen Ebenso wie bei den zuvor behandelten klassischen Aufsichtssituationen gilt das Gesagte für verwahrte Gegenstände, die beschädigt werden oder verloren gehen. Kommt also zum Beispiel ein als Erziehungsmittel oder -maßnahme eingesammeltes Handy oder der aus Sicherheitsgründen während des Sport-Unterrichts von der Lehrkraft verwahrte Schmuck abhanden oder wird beschädigt, gelten die vorgenannten Grundsätze ebenso. Es ist daher zu empfehlen, Vorkehrungen für eine sichere Verwahrung zu treffen (abschließbare Kiste in der Sporthalle, Luftpolsterumschläge, Lehrertisch-Schubladen, Handylocker oder ähnliches), um Fälle grober Fahrlässigkeit schon organisatorisch auszuschließen. Weiterführende Literatur Schröder, Florian (2019). Grundkurs Schulrecht XVI: Ein Wegweiser durch das Schulrecht . Köln: Carl Link Verlag.